Marokko 2011

Nicht erst seit heute leide ich unter "marokkanischem" Reisefieber. Schlimm, der Reisetermin ist nämlich noch ganze lange sieben Tage von mir entfernt. Meine Gedanken drehen sich um Schlafsack und Isomatte, Übernachtungssituationen in Berberzelten, ungewohnte Toilettensituationen und Ahnungslosigkeit a la „wie benehme ich mich in einem öffentlichen Bad in Marokko richtig“. Aber ich bin optimistisch, ich glaube ich habe mir die richtige Reisebegleitung ausgesucht. Ich habe Martin als Reisecoach der „anderen Art“ auf einer Skihütte kennen und schätzen gelernt und bin nun sehr sehr gespannt.

Eine Passage seines letzten Briefings hat mir sehr gefallen und ich möchte ihn hier zitieren, weil seine Zeilen so klar macht, was an dieser Reise anders wird: „das wird eine selbsterfahrungsreise, auf der wir euch erstmal alles wegnehmen, vor allem die netten hygieneinseln, von denen touristen normalerweise schwärmen, um in ihrem nach polsterreiniger duftenden sprinterbus mit getönten scheiben und klimaanlage von event zu event auf wolke sieben daherzufliegen … wenn ihr lernen möchtet, wie man den marktcheckern nicht aus dem weg zu gehen lernt, sie fluchtartig abzuhängen versucht oder einfach nur peinlich lächelnd und bewußt langsam von dannen zieht... bei uns könnt ihr lernen, auf diese zeitgenossen selbstsicher zuzugehen und spass mit ihnen zu haben, vielleicht was zu kaufen wahrscheinlich aber nicht. aber beide behalten ihre würde und so haben wir ein klassisches win/win. Wir haben unsere triftigen gründe dafür, warum wir euch auf abwege führen. die alte kruste muß runter, das verbissene anspruchsdenken und meinen "haben zu müssen", … wir bieten euch die einmalige chance an, in einer völlig fremden welt nicht als zaungäste zu belästigen, sondern fern jeglichem voyerismus für die zeit unseres dortseins, die lebensgewohnheiten zu teilen, die dort  alte tradition haben.“ 
In meinem Zimmer stehen Rucksäcke bereit, daneben in einer Kiste die gesammelten Werke, die es so braucht, wenn frau eine Reise macht, auf der wenig Gepäck – dafür aber Kleidung sowohl für die Wüste wie für den kalten Hohen Atlas - eine wichtige Voraussetzung sind. Über Taschenlampe, Reiseführer, Blasenpflaster bis hin zum Ladegerät für die Kamera läppert es sich ziemlich zusammen. 
Da das Schlepptop – nicht nur aus Platzgründen - zu Hause bleibt, greife ich diesmal ganz ungewohnt zurück auf bewährtes Reisetagebuch schreiben, ganz altmodisch mit der Hand. ... und ich habe es auch geschafft, dieses Reisetagebuch für diesen Blog aufzuarbeiten.

(Leider gibt es Amacatravel inzwischen nicht mehr)

Wir haben uns entschieden, mit dem Auto zum Flughafen Hahn zu fahren. Für die Hinfahrt planen wir großzügige 3 Stunden für Staus und andere Normalitäten im Straßenverkehr ein. Entgegen der Ankündigung des ADAC für den ersten Ferientag ist die Bahn frei und wir kommen zügig durch. Ein Witz, diesen Flughafen Frankfurt/Hahn zu nennen, nachdem wir an Frankfurt vorbei sind, liegt noch mehr als eine Stunde Fahrt vor uns. Trotzdem sind wir deutliche 3 Stunden zu früh am Ziel. Der kleine Flughafen „Frankfurt“-Hahn ist schnell besichtigt und so entern wir ein kleines Restaurant für Pizza und Antipasti. Wir schmökern noch mal im Reiseführer und sind extrem neugierig auf unsere Mitreisenden. Ob wir sie wohl schon hier am Flughafen treffen?

Unser Reiseführer "verrät" uns, Karin hat ihn auf dem Tisch liegen gesehen, zudem hatten wir in der Reisevorbereitung Fotos rumgeschickt. Einige Zeit später kommen Hartmut und sein Sohn Christian dazu, in der Hand ein Blatt Papier mit den ausgedruckten Fotos zum Vergleich. Nun fehlt nur noch Astrid und auch sie findet uns. Wir haben noch Zeit für einen kleinen Plausch und etwas Beschnuppern. Ich habe ein gutes Gefühl – das könnte klappen! Gerade für diese Reise auf engem Raum im Bus und vermutlich auch oft genug auf engem Raum zum Schlafen, ist es wichtig, dass die Chemie so halbwegs stimmt.

Lauwarmer Wind empfängt uns, als wir aus dem Flieger steigen. Wir frösteln fast ein bisschen, weil es vorhin im Flugzeug so heiß war. Wo sind die von Martin versprochenen 35 Grad? Naja, abends um 19:00 Uhr Ortszeit (-1 Std.) wohl auch zu viel erwartet. Martin und Steffi, unser Reiseleitungsteam, erwarten uns schon am Ausgang und wir bekommen gleich den ersten Sonnenuntergang serviert. Fast zeitgleich steigt auf der Gegenseite der Vollmond auf. Am blauen, marokkanisch geschmückten Bus werden wir mit dem 1. Minztee bewirtet. Diesmal ohne Zucker, bzw. mit Zucker nach Geschmack, das wird auf der Reise nicht so bleiben. Marokko ist berühmt-berüchtigt für seine süßen Tees.

Wir laden unser Gepäck ein und dann geht’s durch die Vororte von Fes. Neubauten wechseln sich ab mit alten Lehmhäusern, neugierig drücken wir uns die Nasen an der Scheibe platt: Die ersten Eindrücke von Marokko – ob das so bleibt?

Nahe dem Bab Boujeloud – einem der 7 Tore zur Medina von Fes – ist unser Quartier der nächsten Tage. Martin und Steffi sind schon einige Tage in Fes und haben hier einen Bekannten getroffen, der dieses Privatquartier empfohlen hat. Für uns 8 Reisende stehen 2 Räume zur Verfügung, schnell und unproblematisch sucht sich jedeR ein Bett. Noch wissen wir ja nicht, wer SchnarcherIn und wer nicht Zwinkernd Nachdem wir unseren Kram sortiert haben, wollen wir zu einem kurzen Besuch in die Medina von Fes. Doch davor gehen wir noch der Einladung unserer Gastgeberin zu einem Tee nach, diesmal schon süß vorbereitet. Serviert wird im überdachten Innenhof des Hauses, der als Wohnzimmer fungiert. 

Wir passieren das Bab Boujeloud im Abendlicht und wollen uns etwas zu essen suchen. Vorher noch schnell der notwendige Gang zum Bankautomaten. Ein kleiner Fehler im System: Karin bekommt kein Geld, bei allen anderen klappt es. Neben dem Geldautomaten ist ein kleines Cafe, dort sitzen nur Männer. Bei uns am Geldautomaten sitzen Frauen unterschiedlichen Alters auf den Stufen – sind da Zusammenhänge zu denken??

Einige von uns sind neugierig auf die Garküchen von Fes, Michael und mir ist eher nach Essen in Ruhe und im Sitzen und so trennen wir uns. Martin empfiehlt uns ein kleines Etagenrestaurant. Auf dem Weg zur Dachterrasse gehen wir an der Küche vorbei, ein flüchtiger Blick hinein zeigt eine ältere Frau, die auf der Erde sitzt und Gemüse schält, an diese „anderen“ hygienischen Standards werde ich mich gewöhnen, lieber gar nicht drüber nachdenken. Auf der Dachterrasse sitzen wir eng und gemütlich, hier essen wir die erste Tagine der Reise. Michael ist von seiner schwer begeistert: leckeres mürbes Rindfleisch mit Rosinen und Backpflaumen, das ist was für sein Süßmaul. Es gibt Wasser dazu, Alkohol wird in Marokko nicht offiziell ausgeschenkt. Zwar produziert das Land Bier und Wein in großen Mengen, aber bei Weitem nicht alle Restaurants haben eine Alkohollizenz. Auf unserer Reise – soviel darf verraten werden – habe wir nie eins davon gefunden, aber wir haben auch nicht danach gesucht. Wir zahlen für die zwei leckeren Tagines mit einer großen Flasche Wasser 100 Dirham (DH), das sind ca. 9 Euro. 

Nach dem Essen gehen wir noch einige Schritte vor die Medina, hin zur alten Stadtmauer. Dort ist auch unser Bus geparkt. Die Stadtmauer wird von warmem Licht beleuchtet. Hier herrscht noch reges Treiben, Menschen laufen hin und her, treiben ihre Esel nach Hause oder stehen in Gruppen herum und reden. Auffällig wenige Frauen sind zu sehen. Wie schon auf der Fahrt durch Fes fällt uns auf: in der alten Stadtmauer sind in regelmäßigen Abständen Löcher – wie die wohl dahin kommen? Martin weiß die Lösung: Vor vielen vielen … Jahren wurden die Araber von einem starken Heer mit Kampfelefanten angegriffen und hatten dem wenig entgegenzusetzen. Sie beteten zu Allah um Hilfe und dieser sandte ihnen Millionen von Mauerseglern, die auf die Kampfelefanten niederstürzten und sie mit ihren spitzen Schnäbeln in die Flucht schlugen. Seitdem ist der Mauersegler ein heiliger Vogel und die Löcher in den Mauern sind die Nistplätze dieser Vögel. Das Ergebnis für uns: ein recht insektenfreies Fes und irre viele Mauersegler.

Für den frühen Morgen hatte uns Steffi schon den Muezzin angekündigt und ich werde früh um fünf von seinem Gebet geweckt. Er hat eine sehr melodische „seelenvolle“ Stimme im Gegensatz zu allen anderen Muezzins, die wir noch so hören werden. Um 7 Uhr ist Wecken angesagt, es gibt ein kleines Gedrängel vor der einzigen Dusche des Hauses. Zum Frühstück gibt es süßen Tee, Weißbrot, Butter, Margarine, die wie Frischkäse aussieht, Marmelade und gerollte Pfannkuchen. Um 9 Uhr sind wir mit Najib, einem Freund von Martin, verabredet. Er zeigt uns die Medina von Fes.

Die Altstadt von Fes wurde 1976 zum UNESCO-Kulturdenkmal erhoben. So ist Geld zum Erhalt und der Renovierung vorhanden, was an vielen Stellen sichtbar wird. Das Bab Boujeloud – das Westtor – ist gerade frisch renoviert worden und ist mit einem aufwändigen blau gehaltenen Mosaik geschmückt. Auch wenn uns die Medina von Fes wie ein Museum aus dem Mittelalter erscheint, leben und arbeiten hier mehr als eine viertel Million Menschen. Najib führt uns in die labyrinthischen Gassen, das Gedränge von Menschen, Karren und Eseln in der autofreien Altstadt ist dicht.  Schnell haben wir den Überblick über den Rückweg verloren. Hier lernen wir ein wichtiges Wort: „Balek!“ Die Karrenschieber und Eselführer rufen es und mensch muss sich schnell in Sicherheit bringen, sonst wird gerempelt. Wir verstehen „Balack“, wie der deutsche Fußballspieler und können uns das Wort gut merken. Wir bleiben an Garküchen stehen und linsen in die Töpfe, probieren Harira (Bohnensuppe) und eine Linsensuppe mit Olivenöl, die traditionell zum Frühstück gegessen wird.

Najib führt uns zu einer der wenigen Koranhochschulen, die für uns Nichtmuslime als Museum zugängig ist. Sie ist aus dem Jahr 1280 und beherbergte in winzigen Kammern mit Hochbetten die Studenten. Auf dem Innenhof und in einem Seitenteil saßen die Studenten jeweils in kleinen Gruppen um den Lehrer, Lehrpläne und Prüfungen gab es noch nicht. Wir kommen an vielen anderen Moscheen vorbei und können immer wieder einen kurzen Blick durch die weit geöffneten Tore werfen. Najib weist uns darauf hin, dass zu jeder Moschee auch ein Hamman (Bad), ein Brunnen und ein Bäcker gehören. 

Wir besuchen eine Weberei und ich kaufe für Tabea einen wunderschönen lila-grün- schimmernden Stoff. Alles wird dort noch mit der Hand gewebt, nicht nur grobe Stoffe, sondern auch feine Seiden oder Baumwoll-Seidengemische. Nachtrag: Als ich meiner Tochter den Stoff später überreiche ist sie schwer begeistert. Sie will sich daraus ein Kleid schneidern. Leider erweist sich das als unmöglich. Der handgewebte Stoff ist zu locker gewebt. Schade!

Besonders beeindruckt hat uns das Viertel der Gerber. Von der Galerie eines Lederwarengeschäfts können wir auf die arbeitenden Gerber herunterschauen. Schon am Eingang bekommen wir einen Stängel stark duftender Minze in die Hand gedrückt. Noch weiß ich nicht wofür, doch als wir auf der Galerie stehen, wird mir der Sinn schnell klar. Ein beißender Gestank liegt über dem Gerberplatz. Die Arbeiter balancieren in hochgewickelten Hosen auf den Bottichrändern der Kalkbecken und Gerbertöpfe. Sie arbeiten ohne Schutzhandschuhe, stehen oft bis hoch an die Oberschenkel in den Töpfen mit der Gerberlohe. Ein Angestellter des Lederwarengeschäfts will uns weis machen, es würden nur „natürliche“ Mittel verwandt, zum Gerben Taubenkot, zum Färben Mohn (rot), Safran (orange), Minze (grün) und Indigo (blau). Doch wir können das ziemlich schwer glauben und auch der Reiseführer in Schriftform lässt verlauten: „es wird meist mit Chemikalien gearbeitet“. Mein Zoom des Fotoapparates holt mir dann auch einen Sack mit Ammonix (Ammoniak) vor die Linse. Sonst allerdings ist nichts zu sehen, was auf die Beimischungen schließen ließe. Der Rückweg durch das Lederwarengeschäft zeigt ein großes Angebot von Lederwaren aller Art. Steffi liebäugelt mit einer Lederjacke – Startpreis 350 Euro – sie wechselt den Besitzer nach langen zähen Verhandlungen für 120 Euro und Steffi kann sich zusätzlich noch ein paar marokkanische Schlappen aussuchen. 

In einem kleinen Restaurant machen wir Pause. Der Inhaber, ein kleiner 70-jähriger, drahtiger Marokkaner macht seine Faxen mit uns, macht Handstand und zeigt auch ansonsten, wie fit er noch ist. Er erklärt uns, dass er früher Leistungssportler war. Seine Frau hinter der Theke ist höchstens 30 Jahre alt.  

Im Anschluss an die Pause landen wir in einem traditionellen Kleiderladen. Ruckzuck hat der Besitzer allen eine Schabala übergezogen, er zeigt dabei ein erstaunlich gutes Auge dafür, was wem am besten steht und wir stellen uns auf zum Gruppenfoto. Der blaue Turban, den sich Michael vormittags aus einem frisch gekauften Tuch gemacht hat, passt wunderbar zur blauen Schabala und er bekommt den Namen Blue Baba. Das sollte allerdings das letzte Mal sein, dass Michael so genannt wird. Den Rest der Reise wird er von allen MarokkanerInnen immer wieder Ali Baba genannt, egal, ob er seinen Turban auf hat oder nicht, muss wohl am hellen Bart liegen.

In einem Kräuterladen, den uns Najib als „Apotheke“ anpreist, bekommen wir Riechproben von allerlei Gewürzen und auch von schwarzem Kümmel, der die Nase frei macht und gegen Schnarchen helfen soll (wir wissen jetzt nach der ersten Nacht, wer die SchnacherInnen sind), Wir testen das Argan-Öl, aus der Kultur der Amazigh-Berber, die seit Jahrhunderten von und mit dem Arganbaum leben. Die Industrialisierung hätte dieser Kultur fast den Garaus gemacht, aber die marokkanische Regierung hat rettend eingegriffen und die UCFA (Union des Coopératives des femmes de l’Arganeraie) gegründet. In dieser Organisation sorgen mittlerweile etwa 22 Kooperativen mit über 1000 Frauen dafür, dass die Tradition des handgepressten Arganöls erhalten bleibt. Ob das Öl, was wir dort erhalten, aus dieser Organisation ist, finden wir nicht heraus. Der Besitzer des Ladens erwähnt diese Kooperative auch gar nicht, sondern macht seine Scherzchen damit, indem er uns erzählt, dass die Früchte der Arganbäume von den Ziegen gefressen werden, die dann die Kerne unverdaut wieder ausscheiden, diese dann gesammelt und zu Öl verarbeitet werden. (Meine Recherche im Anschluss an die Reise in Wikipedia bestätigt diese Arbeitsweise erwartungsgemäß nicht.). Ich erstehe dort  einen kleinen Block stark riechende Moschuss“seife“, gut als Deo und gegen Kleidermotten. Hier werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass mit Moschus viel geschummelt wird. Dazu wird ein Block von außen mit Moschus bestrichen und dann als reine Ware verkauft. Daher solle man sich den Block immer aufschneiden lassen, um diesem Trick auf die Spur zu kommen. 

Wir besichtigen eine winzige Backstube, die aus einem einzigen Raum besteht. In die Wand ist ein alter Ofen eingebaut. Jede Familie kann hier ihr selbstgemachtes Fladenbrot zum Backen abgeben. Der Bäcker, so erzählt Najib, sei so was wie die „gelben Seiten“ der Medina, er wisse genau, wer wo wohnt, weil er die Fladenbrote anschließend auch ausliefert.

Zum Abschluss führt uns Najib zum Ausstellungsraum seiner Familie. Sie betreiben seit einiger Zeit eine Teppichweberei und einen– handel. Michael verliebt sich auf den ersten Blick in einen handgewebten dünnen Schaf- und Kamelwollteppich, der in 3 Farben (weißes Schaf, schwarzes Schaf und Kamel) daherkommt. Als Preis nennt der Verkäufer 800 DH (ca. 70 Euro), da mögen wir nicht handeln, obwohl wir ihn bestimmt noch günstiger hätten bekommen können. Als Dreingabe gibt es noch einen schönen handgewebten Kissenbezug. 

Wir haben uns von 9 Uhr bis 16 Uhr in der Medina rumgetrieben, nun sind wir alle ziemlich platt. Es geht zurück ins Quartier, um 18 Uhr wollen wir uns in einem Cafe treffen, dort ist afrikanisches Trommeln angesagt. Hier lasse ich mir von einer Schwarzafrikanerin ein schönes Hennatatoo auf den Unterarm und die Hand malen. Ich pflege es den ganzen Abend, halte es schön feucht, aber es hätte die Nacht noch gebraucht, das wollte ich aber unserer Gastgeberin nicht zumuten: Henna in der frischen Bettwäsche. So ist am nächsten Morgen leider nur noch ein blasses Muster zu sehen.

Für die 2. Nacht war uns eigentlich noch ein 3. Zimmer versprochen worden – daraus wurde leider nichts. Erst war es frei und Karin und Astrid hatten ihr Gepäck schon dort hingestellt, doch als wir abends aus dem Cafe kamen, hatte es unser Gastgeber wieder rausgeräumt und das 3. Zimmer an weitere Gäste vermietet. Auch eine kleine lautstarke Diskussion konnte daran nichts mehr ändern.

Nach dem üblichen Gedränge vor der Dusche und dem Frühstück packen wir unser Gepäck zusammen und brechen auf. Wir hatten gestern beschlossen, einen weiteren Tag Fes zu streichen, wir haben alle genug Stadt gesehen und wollen weiter. Noch schnell einen Cafe noir im Cafe (damit Fee wach wird) und dann geht die Fahrt Richtung Sefour. Dort wollen wir auf dem Suk (dem traditionellen Markt) Sandalen mit Autoreifensohle kaufen. Wir wandern über den kleinen Suk von Sefour, der so anders ist als das hektische Fes. Viele Obst- und Gemüsestände, einige Lädchen mit Kleidung und Haushaltswaren. Leider ist der Schuhmacher – den Martin von früheren Touren kennt -  nicht da, auch Nachfragen, bestehend aus Brocken Französisch, Arabisch und vielen Gesten bei seinen Nachbarn helfen nicht weiter. Also kaufen wir viel Obst und Gemüse sowie Eier für sehr wenig Geld und fahren weiter.

Nach ca. einer halben Stunde Fahrt hält Martin an der Straße neben einer Minisiedlung aus Lehmhäusern. Schon von weitem werden wir beäugt „was sind das für welche?“ Als wir aussteigen, kommt ein Rudel Kinder angelaufen. Genau für solche Zwecke haben wir einen großen Schwung Kinderkleidung an Bord. Schnell wechseln kleine und große Pullover ihre BesitzerInnen, nur ein ca. 12 bis 14jähriger Junge ist wählerisch, erst ein rotes Shirt mit in seinen Augen wohl coolem Aufdruck gefällt ihm. Martin radebrecht mit den ankommenden Müttern, dass wir den Bus dort bei den Häusern stehen lassen wollen und während wir unsere Sachen zusammensuchen, kommt eine ältere Frau zu uns an den Bus. Sie hat eine Kanne eiskalte Buttermilch dabei und ein Glas. So bekommt nach und nach jedeR von uns etwas von diesem köstlichen Getränk ab. Wir bedanken uns artig mit: „Schukran!“ – bei dem einen oder anderen kommt auch etwas nur bedingt ähnliches heraus, wir müssen halt noch üben.

Bepackt mit Rucksack und Zelt, Isomatte und Schafsack, vorm Bauch den Tagesrucksack wandern wir hinunter zum Fluss. 250 m sollen es nur sein, hat Martin gesagt. Aber wie es so ist, der Tag ist warm, das Gepäck schwer und der Weg unbekannt, ich schätze das Ganze auf mindestens 500 m, gefühlt 5 km. Der Weg führt durch kleine karge Getreidefelder, Gestrüpp und Steine hinunter zu einem knallblauen Fluss. Wir bauen die Zelte auf und stürzen uns in die Fluten, Wassertemperatur so um die 18 – 19°,  sehr angenehm bei der Hitze. Die Strömung ist an manchen Stellen so stark, dass selbst Kraulen (und ich bin dabei nicht langsam) einen maximal an der Stelle hält und nach einer Weile auch trotzdem davonträgt. Wir lassen uns ein Stück treiben, halten uns aber im Gegensatz zu Hartmut, Martin und Christian lieber in Ufernähe auf, um im Fall der Fälle eine Baumwurzel als Haltepunkt greifen zu können. Und es erweist sich auch als klug, denn als wir Hartmut das nächste Mal sehen, hatte es ihn in einige Strudel doch ziemlich rein- und runtergezogen. Das ist mir entschieden zu gruselig und so suche ich nach Stellen, in denen es nicht so turbulent zugeht.

Zum Abend hin baut unser jüngster Mitreisender Christian das Lagerfeuer auf und versucht mühsam und erst nach längeren Versuchen erfolgreich das Feuer mit seinem mitgebrachten „Überlebensset“ zu zünden. Bald kocht der unverzichtbare Minztee im Kessel auf dem Feuer und wir schnitzen Gemüse für’s Abendessen. Welche Ruhe im Gegensatz zu dem hektischen Fes. Aber wie heißt es so schön: „In Marokko bist du nie allein!“ Und richtig, hin und wieder kommen Schäfer mit ihren Herden vorbei und auf der anderen Seite des Flusses kommt ein Mann, um seinen Esel zum Weiden zu bringen. Auch er schaut neugierig zu uns herüber; Europäer, die hier zelten, sind wohl eher sehr selten. Martin vermutet gar, dass er wohl mit einer anderen Gruppe vor 3 Jahren hier als letzter Europäer zu sehen war. Michael erklärt sich bereit, das Geschirr unten am Fluss zu spülen und findet zur Belohnung eine kleine Schildkröte, die vor ihm Reißaus nehmen will, doch er kann sie einfangen und uns zeigen. 

Nach dem Essen teilen sich 5 Leute 3 Dosen Bier und wir lassen die ½ Flasche Whisky kreisen, die wir am Flughafen noch schnell erstanden haben. Es wird dunkel, die Sterne zeigen sich nach und nach und Martin hat seine Gitarre ausgepackt. Zeit zum Träumen. Früh gehen wir in die Zelte, es war ein anstrengender Tag.

In der Nacht hat es ein bisschen geregnet. Als ich gegen 4 Uhr mal raus muss, begegne ich einer dicken Kröte, die mich erstaunt anstarrt. Morgens in der Früh hören wir die anderen kramen und stehen auf. Ich nehme rasch eine „Dusche“ im Fluss und komme herrlich erfrischt an das schon wieder fackelnde Lagerfeuer, diesmal nicht nur mit Tee, sondern es gibt auch Kaffee, wunderbar! Gestern hat uns Martin eine Wanderung in den Canyon vorgeschlagen. Er kennt die Strecke auch nicht und ist neugierig. Natürlich wollen alle mit. Wir vereinbaren: Max. 2 Stunden in das Tal hinein und dann zurück. Doch es soll anders kommen.

Wir nehmen den kleinen Anstieg zum Bus, der mir gestern so lang vorkam. Jetzt merke ich – ohne Gepäck und in Kenntnis der Strecke: es sind wirklich nur 250 m und mache eine kleine Abbitte an Martin, den ich gestern etwas angemuffelt hatte: „Erzähl‘ nicht es seien 250 m, wenn es doch viel mehr ist.“ Oben am Bus tanken wir noch mal Wasser und sind gleich wieder von den Kindern der Siedlung umringt.

Wir gehen an der linken Seite des Flusses entlang. Schnell werden aus dem kleinen Pfad nur noch verzweigte Ziegen- und Schaftritte, die am Hang entlang laufen. Wir queren Hänge mit vielen losen Steinen, Steinrinnen und andere kleine Hindernisse. Trotz strahlendem Sonnenschein laufen wir noch im Schatten des Hügels neben uns. Die gegenüberliegende Seite liegt in der Sonne. Dort läuft ein ausgetretener Weg den Fluss entlang. Ein bisschen neidisch schaue ich rüber: „Warum laufen wir nicht da?“
Nach rund einer Stunde beraten wir uns. Wollen wir weiter auf dieser Seite laufen und nachschauen, was hinter der nächsten Kurve liegt, dort, wo der Canyon enger zu werden scheint? Soll es langsam zurückgehen oder wollen wir den Hang hinunterklettern, den Fluss queren und auf der anderen Seite wieder zurücklaufen? Wir schauen den Hang hinab, um  eine Stelle zu finden, an der wir den Fluss trotz Gepäck überqueren können. Eine Furt, wie mensch sie sich so langläufig vorstellt, ist dort jedenfalls nicht zu sehen. Doch Martin zeigt uns die Stelle, von der er meint, dass es ginge.

Eigentlich bin ich dafür, noch mal um die Ecke zu schauen, dann zurückzukommen, den Fluss zu queren und unten am Fluss entlang zurück zu gehen. Ich habe den schönen bequemen Weg im Gedächtnis, den ich auch dem Hinweg dort drüben gesehen habe. Aber wenn ich jetzt so schaue, da sind nur Felsen. Aber vielleicht kann mensch ja unten am Fluss bei den Orleanderhecken entlanggehen.

Irgendwie entscheiden wir uns dafür, gleich zu queren und ruck zuck machen sich alle daran, den Felsen zum Fluss hinunterzukraxeln. Es ist eine ziemliche Kletterei, die je nach Erfahrung mehr oder weniger anstrengend ist. Unten angekommen, hat Martin schon mal die ausgeguckte Furt ausprobiert und festgestellt, das war wohl nix. Etwas weiter Fluss aufwärts entdeckt er eine bessere Stelle. Also geht es die Hälfte des Felsens wieder hoch, um zur nächsten Sandbank zu kommen. Auch hier erschließt sich der Weg in Richtung Camp nicht so richtig, überall Felsen. Ich sehe Martin drüben auf der anderen Seite hoch oben auf einem Fels stehen – da soll ich doch nicht etwa auch hoch?? Aber davor hat die Wandergöttin die Querung des Flusses gesetzt. Martin ist wieder zurückgekommen. Er behält seine Wanderstiefel an und hilft uns beim Gepäck. Ich habe wie immer meine wasserfesten Wandersandalen dabei und fühle mich am Anfang im Fluss auch sehr sicher. Michael und ich gehen zusammen in den Fluss. In der Mitte wird es nicht nur ´ne Ecke tiefer, mir geht das Wasser gut bis an den Bauch, auch die Strömung wird heftiger. Immer wenn ich stehenbleibe, merke ich, wie mir die Steine unter den Schuhen weggezerrt werden und die Strömung mich kräftig drückt. Ich erinnere mich an Martins Anweisung: „Immer mit dem Bauch in die Strömung“, probiere ein bisschen rum und siehe da, sich der Strömung entgegenzustellen ist am leichtesten. Mit einem komischen Gefühl im Bauch kämpfen wir uns auf die andere Seite durch und haben es dann auch gleich geschafft. Lachend zeigt uns Martin ein Foto von uns: Händchenhaltend mitten im Fluss. „Erzählt zu Hause bloß nicht, da sei starke Strömung gewesen“. Pah Martin, das war eine starke Strömung, zumindest für uns!

Aber das dicke Ende kommt erst noch. Wie schon von der anderen Seite aus zu vermuten war: Es gibt keinen Weg am Fluss entlang. Also musste es doch die Kletterei über die Felsen werden. Die Felsen hoch, ein Stück den Hang entlang, dann die Felsen wieder runter. Damit sind meine Kräfte ziemlich am Ende. Trotzdem nehme ich den Rucksack, den Michael bis dahin tapfer und ohne zu klagen geschleppt hat. Wieder geht es steil die Felsen hoch und schnell geht gar nichts mehr. Ich nehme den Rucksack ab, stelle ihn auf den nächsten Felsvorsprung und klettere hinterher. Nach einer Weile kommt Martin nachsehen, wo seine beiden Schlusslichter bleiben. Er nimmt mir den Rucksack ab, so dass Michael und ich die Hände frei haben. Also steil den Felsen rauf und logischerweise auch wieder steil runter. Als ich die Kletterstrecke endlich als absolutes Schlusslicht geschafft habe, geht gar nix mehr. Nun spielt auch noch mein Kreislauf verrückt, Piepvögelchen zwitschern um meinen Kopf herum. Aber es hilft ja nix, ich will wieder ins Camp. An einer seichten Flussstelle machen wir endlich eine längere Pause. Ich ziehe meine Stiefel und meine Hose aus und dann ab in den Fluss. Zwei Schritte, ich rutsche aus und sitze bis zur Brust im Wasser – auch ok.

Der Rest des Weges erweist sich als „Rentnerweg“ und ist in recht kurzer Zeit geschafft. Als wir am Camp wieder auf Steffi treffen, die bei den Zelten bleiben musste, sehen wir gerade noch ihren Besuch entschwinden: Ein sowas von sich männlich fühlender Marokkaner, der einen Hund bei sich an der Leine führt. Er hätte versucht sie anzugraben und als das nicht klappte, sie über uns – ihre Familie - ausgefragt, erzählt Steffi lächelnd. Solche Typen lässt sie doch am langen Arm verhungern. Den Rest des Tages liegen wir faul in der Gegend rum, nur Martin und Hartmut machen nachmittags noch mal einen Gang zu einer Kasbar (größeres Haus, hier als Ruine). Als sie zurückkommen strahlt Martin: „Habt ihr ein Glück, dass ich das eben erst entdeckt habe, ein ideales Camp!“ 

Auch heute haben wir wieder viele Beobachter, sie sitzen am gegenüberliegenden Ufer und schauen mehr oder weniger auffällig zu uns herüber. Auch Steffis „Freund“ ist wieder dabei, der hat sich mit einigen anderen an einer Badestelle getroffen und planscht nun – immer wieder beifallheischend zu uns schauend – im Wasser. Als wir so gar nicht reagieren, zieht er als letztes verzweifeltes Mittel seiner Wahl die Badehose aus und präsentiert sich im Adamskostüm. Aber außer einer für ihn unsichtbaren heiteren Reaktion unsererseits erreicht er damit auch nicht mehr, als dass wir noch ein bisschen über ihn spekulieren: Der wird wohl mal in Europa gewesen sein, Hund an der Leine und nackiger Popo, das ist alles sehr untypisch für einen Marokkaner.  

Abends am Feuer erkundigt sich Martin mal ganz vorsichtig nach unseren Bedürfnissen der Nahrungsaufnahme. Ob wir es denn tolerieren könnten, wenn’s mal knapp und unregelmäßig würde? Meine Meinung dazu: Dass es auf dieser Reise nicht Punkt 12 Uhr und Punkt 20 Uhr das 3-Gänge-Menü gibt, ist doch klar, oder? Aber vielleicht war die Frage ja doch wichtig, um bei dem einen oder der anderen noch mal das Bewusstsein dafür zu schärfen.

Früh kräht der „Martin“-Hahn. Heute ist Reisetag. Mit nur 20 Minuten Verspätung starten wir um 8:20 Uhr Richtung Tiz-bin Zabel, einem Pass von 2.400 m Höhe über den mittleren Atlas. Auf dem Weg dorthin wird die Landschaft immer karger und gleichzeitig auch interessanter, unbeschreiblich. Wir drücken uns die Nasen an den Scheiben platt und wechseln regelmäßig auf den Beifahrersitz, damit jedeR mal vorn besser sehen kann. Eigentlich möchte ich alle 3 Minuten rufen: „Halt – Fotopause!“ Aber das geht ja leider nicht, wir wollen ja heute noch  ankommen – wo auch immer? Von früheren Fahrten kennt Martin die Piste und befürchtet Schlimmes.

Er kündigt uns schon an, dass wir immer mal wieder Strecken zu Fuß gehen müssen, damit die Reifen des Wagens nicht so belastet werden. Doch Dank M-Six (König Mohamed der VI) wird diese Erwartungshaltung „enttäuscht“. Die Piste ist neu geschottert. Trotzdem ist vorsichtig fahren angesagt, Steinschlag ist hier üblich. Als wir an kleinen Wasserfällen vorbeikommen, ist die Piste hier schon wieder kaputt. An einem dieser Wasserfälle füllen wir unsere gesamten Wasservorräte auf. Es sei „heiliges Wasser“ erzählt Martin. Nachdem wir den Pass überwunden haben, fahren wir eine Piste, die Martin handschriftlich als asphaltierte Piste in seiner Karte eingetragen hat. Hin und wieder müssen Martin oder Steffi nach dem Weg fragen. Es klappt mit einem Gemisch aus arabisch, französisch, englisch und deutsch. Wir finden die richtige Piste. Sie ist immer gerade so breit asphaltiert, dass es für ein Auto reicht. Kommt uns jemand entgegen, beginnt das Spielchen „Wer ausweicht, hat verloren!“ Aber es klappt immer wieder, ohne dass es zu Blechschaden kommt.

Die Bergformationen, die wir auf dieser Fahrt zu Gesicht bekommen sind besonders bizarr. Wenig bewachsen zeigen sich die geologischen Formationen besonders deutlich. Eng an eng sind die einzelnen Schichten erkennbar, durch mächtige Kräfte aus der Horizontalen in alle möglichen Richtungen verschoben. An einer Stelle biegen sich die Steinschichten in Form eines mächtigen steinernen Tores, der uns an das dunkle Tor von Dunharg aus dem Herrn der Ringe erinnert.

Wir fahren Richtung Outat-Oulad-El-Haj und irgendwann sind wir am Abbruch des mittleren Atlas hin zur Sahara angekommen. Das Gebirge fällt steil ab und geht in eine Steinwüste über. Irgendwo in dieser Einöde machen wir Mittagspause. Es ist der kleine Ort mit dem langen Namen Immoz`es-des-Marmucha. Entlang der Straße gibt es kleine Restaurants und Läden. Die Gruppe trennt sich, da es schneller geht, wenn nur 2 oder 3 Menschen was zu essen wollen. Michael, Karin und ich streichen durchs Dorf. Die Restaurants haben ihr totes Fleisch zur Werbung draußen hängen: tote Hühner, halbe Schafe und Ziegen, an denen noch der Kopf befestigt ist, damit mensch auch sieht, was es zu essen gibt. Mir vergeht der Appetit. In einem kleinen Laden kaufen wir Brot, Joghurt (süß) und harte Eier für’s Mittagessen. Für jedeN 2 Eier, dann kommt kein Hunger mehr auf. Auf dem Rückweg finden wir einen Schuster, der genau die Schuhe macht, die wir in Sefrou kaufen wollten. Wir gehen gemeinsam mit Martin dort hin und Michael ersteht ein paar Sandalen, handgeschustert und genagelt, mit Sohlen aus Autoreifen für 60 DH. Wenn er die erstmal eingelaufen hat, dann langen sie für ein langes langes Schuhleben.

Diverse Kilometer später bremst Martin mitten in der Steinwüste und biegt auf einen Schotterweg ab. Erst jetzt sehen wir in der Ferne einige wenige Häuser. Das ist der Hamam an einer Thermalquelle, an der wir heute zelten wollen – und mit ein wenig Glück auch baden können. Wir Frauen eilen schnell zum Hamam um zu fragen, wie es denn so aussieht mit der Geschlechteraufteilung oder ob wir vielleicht sogar gemeinsam das Piscine nutzen können. Doch weit gefehlt. Die Frauen könnten noch duschen, verstehen wir, ab 19:00 sind die Männer dran – es ist schon nach 18.00 Uhr. Wir beeilen uns also und holen unsere Sachen. In der Zeit wollen die Männer die Zelte aufbauen.

Wir kommen in einen dunklen, nur leicht beleuchteten Raum, unsicher stehen wir in der Gegend rum und erkennen dann: Das ist die Umkleide, es riecht muffig, an den Wänden zieht der Schimmel hoch. Von einer Deutschen, die zurzeit in Rabat lebt, habe ich gelernt: Die Unterhose bleibt an. Also ziehen wir uns soweit aus und erforschen die Umgebung weiter. Es gibt nur eine weitere Tür, diese führt eine Treppe hoch zu 4 Duschen. Schnell stellen wir uns rein und drehen das Wasser auf. „Kreisch!“ das ist ja soooo heiß und kein Kaltwasserhahn zum regulieren. Mit Ach und Krach kriegen wir uns so weit nass, dass das Shampoo drauf kann, schlimmer noch ist das Abspülen. Schnell sind wir fertig, das war kein Genuss. Und sehen uns weiter um und gehen um die Ecke. Dort ist das Piscine – ohne Wasser. Na klar, wenn die Männer um 19:00 Uhr dran sind, muss ja das Wasser gewechselt werden, geht ja wohl nicht, da waren ja vorher Frauen drin…. Also war’s das für uns Mädels. Wir ziehen uns an und sind schnell wieder draußen.

Als wir um die Ecke kommen, sehen wir, dass die Herren der Schöpfung immer noch mit dem ersten Zelt beschäftigt sind. Derweil hat der eh schon kräftige Wind noch mal aufgefrischt, der Himmel wird immer dunkler, es blitzt und wetterleuchtet. Ein Zeltaufbau bei diesem Wind dürfte schwierig werden - und nun? Und wir haben Glück. Im Gebäude etwas abseits des Hamams sind Gasträume, einfachst eingerichtet, mit jeweils 2 Matratzen. Zwei dieser Räume sind noch frei, doch einer der beiden ist so dreckig (uns wird gedeutet, wir könnten ihn ja saubermachen), dass wir dankend verzichten und nur den anderen Raum nehmen. Er ist so groß, dass gerade 6 Isomatten reinpassen und die Tür noch zugeht. Steffi und Martin haben sich eine Zwischendecke in den Bus geschweißt, dort können sie schlafen. Also ist alles ok. Nun gehen die Kerle ins Hamam. Wir bauen unsere Matten auf, und bereiten das Abendessen vor. Es gibt gesammelte Reste: Brot, Wurst, Käse, noch 2 Tomaten, ne ¼ Gurke und Oliven.  

Dann kommt Michael als Erster aus dem Hamam zurück, er ist immer noch ganz entsetzt. Das Wasser im Piscine sei sehr heiß gewesen, das könne ja kein Mensch aushalten. Für ihn ist der Hamam für den Rest der Reise „gestorben“. Kurz danach kommt auch unser jüngstes Reisemitglied und bestätigt: „Das ging gar nicht!“. Martin und Hartmut haben die Hitze im Picine – sie haben rausbekommen, es waren 42° - tapfer minutenweise ertragen, aber mir scheint, ein Genuss war es für sie nicht. Den Rest der Reise grippt Martin mit Halsschmerzen und Schnupfen vor sich hin und vermutet einen Angriff auf seine Abwehrkräfte durch das heiße Wasser. 

Die Nacht in dem kleinen Zimmer ist unruhig, unsere SchnacherInnen outen sich wieder, einer der wilden Hunde schnüffelt an der Tür und früh morgens verirrt sich ein kleiner Junge in der Tür und starrt erstaunt auf die vielen schlafenden EuropäerInnen.

Morgens, während Michael abwäscht, kommen just zu dieser Zeit alle Frauen aus den Zimmern, sie brauchen dringend auch Wasser aus dem einzigen Hahn auf dem Platz vor der Gästeanlage. Neugierig wird unsere Truppe von allen Seiten beäugt und einige Frauen müssen verdeckt lachen, als sie sehen, dass bei uns auch die Männer den Abwasch machen. Auch wir stehen in der Gegend rum, die Kamera auf Hüfthöhe im Anschlag. In Marokko ist es besser verdeckt zu fotografieren, viele Menschen mögen es nicht. Daher heißt es entweder fragen oder so fotografieren, dass es keineR merkt. Weiter geht die Reise durch die endlose Steinwüste. Am Horizont müssten wir eigentlich den mittleren Atlas sehen können, aber es ist ziemlich diesig und wolkenverhangen. Einige der Wadis sind mit etwas Wasser gefüllt, ein Zeichen, dass es in den Bergen kräftig geregnet hat. Steffi: „Wir waren hier ja schon, aber wir wollen nicht zuviel erzählen, damit wir keine falsche Erwartungshaltung bei Euch wecken.“ Wir drängeln, wir wollen was hören, zu sehen ist im Moment meist das gleiche: Steine. Also erzählen die beiden, dass sie ungefähr hier an dieser Stelle eine Wanderung in die Wüste gemacht haben und eine Kamelherde getroffen haben.

Wir fahren über den nächsten Huckel und was sehen wir? Eine Kamelherde, mit einem Bullen, diversen Kameldamen mit Babies und dazu ein Schwung Halbstarker! Natürlich wird angehalten und alle möchten möglichst gleichzeitig aus dem Bus. Langsam und vorsichtig nähern wir uns der Herde, wir wollen sie ja nicht verscheuchen. Doch anstatt wegzulaufen, kommt sie auf uns zu. Erst wundern wir uns, aber dann sehen wir, dass der Hirte die Herde auf uns zutreibt. Offensichtlich ist er genau so neugierig wie wir auch. Der Hirte ist ein Junge, höchstens 15 Jahr alt. Er hat leider schon sehr harte Gesichtszüge und schaut uns misstrauisch an. Steffi sucht Kleider aus dem mitgebrachten Fundus in seiner Größe und findet einen tollen Fleecepulli. Ein Strahlen geht über sein Gesicht und das Kind kommt wieder durch.  Eigentlich soll er noch ein paar Schuhe bekommen, er läuft hier in diesem unwegsamen Gebiet in Badelatschen rum, doch leider haben wir nichts in seiner Größe dabei.

Gegen Mittag erreichen wir die ehemalige Bergwerkstadt Midelt. Sie liegt am Fuß des schneebedeckten Ayachi-Massivs (3737 m). Hier kaufen wir wieder Gemüse, Obst, einen halben Truthahn und anderes ein, wir wollen es mit nach Aoli nehmen, wo wir in einer Berberfamilie zu Gast sein werden. In Midelt gibt es in fast allen Restaurants gebratene Hähnchen im Angebot, da greifen wir doch zu. 

Hinter Midelt fahren wir an der für unsere Verhältnisse „wilden“ Müllkippe vorbei. Aber der Müll liegt dort schon länger und so schauen nur noch Fahnen von weißem, gelbem, rotem Plastik aus der Erde hervor. Ziegen, Vögel und Insekten haben alles Biologische längst verwertet. Hier könnte recht sauberes Plastik gesammelt werden, erzählt Michael, der die Erfahrung dazu aus seinem Ägyptenprojekt hat. Für „reine“ Plastikware zahlt China derweil eine Menge Geld. Später sollen wir an einer anderen Kippe auf diese Sammler treffen. Diesmal sammelt Michael, aber nicht Plastik sondern eine „Trophäe“. „Ein Büffelkopf“, ruft er, als wir an der Deponie vorbeifahren. Bis es vorn bei Martin am Steuer angelangt ist, vergehen rund 200 m. Martin glaubt es zwar nicht, setzt aber trotzdem zurück. Auf den meist autofreien Straßen Marokkos geht das problemlos. Und hier kommen wir sowieso langsam in eine Gegend, in der wir mehr Esel als Autos sehen werden. Michael hat richtig geguckt: Ein  skelettierter Büffelschädel mit ein bisschen Fell im Stirnbereich. Martin holt ihn und ist schwer begeistert. Das soll unser neues Kühlertier werden. Bisher hing am Kühlergrill ein Ziegenkopf aus Korsika. Einige Stunden später wird Martin den Büffel festgeschnallt haben und ab dann zeichnet uns ein neues Fahrgefühl aus: wir sehen in lachende, ungläubige und erstaunte Gesichter, egal ob männlich oder weiblich, ob Kind oder Greisin. Sie zeigen mit dem Finger hinter dem Bus her, erzählen dem Nachbarn davon – wir haben viel Spaß damit.

Von Midelt aus geht es Richtung Moulouya-Schlucht. Die Fahrt führt durch fossiles Gebiet und in einer Pause gehen alle mit Feuereifer auf die Suche, Blickrichtung gen Boden und es gibt reichlich Beute: Versteinerte Schnecken, Stängel und Blätter und vieles „das was sein könnte, oder auch nicht“.

Die Berge werden schroffer und wir erreichen die Moulouya-Schlucht. Hier wurde bis in die sechziger Jahre silberhaltiges Bleierz abgebaut. Nun sind die Anlagen verlassen – sagt der Reiseführer. Verlassen? Schon beim Einfahren auf der staubigen Piste sehen wir links im Fluss einige Männer mit einfachen Schnüren angeln. Weiter flussaufwärts hocken zwei Männer im Fluss und waschen Gestein aus, ganz so wie wir es aus den Italo-Western kennen. Weiter führt uns der Weg an den verfallenen Anlagen vorbei. Martin erzählt, dass er hier einen Freund treffen könnte, Mohra, der nur noch einen Zahn sein eigen nennt. Kaum sind wir in Aoli eingefahren, steht Mohra mit den einzigen anderen Touristen außer uns auf der Straße. Als Mohra Martin erkennt, lässt er seine eventuellen Kunden einfach stehen und begrüßt Martin voller Freude. Wir werden auf den üblichen Tee eingeladen. Dafür richtet Mohra extra Teppiche, Felle und Kissen auf der Veranda vor seiner Wohnung für uns her. Wir trinken unseren Tee und Mohra stopft sich dazu seine „Kif“-Pfeife. Zwar ist der Handel mit Kiff (arabisch für Haschisch) auch in Marokko verboten, trotzdem rauchen viele Männer überall öffentlich ihre Kif-Pfeifen, auch in den Cafés in den Städten. Und jetzt wissen wir auch endlich. woher der Ausdruck „kiffen“ kommt.

Mohra ist bei näherem Hinsehen noch gar nicht so alt, wie sein einziger lang gewachsener Zahn vermuten lässt. Er verdient sein Geld mit dem Verkauf von Steinen und wir kaufen ihm für rund 100 DH 3 schöne Steine ab. Ich bin sicher, sie sind es nicht wert, aber ich bin auch sicher, er kann das Geld gut gebrauchen. Er holt eine alte Zeitung um die Steine einzuwickeln und uns schaut Angela Merkel an – es ist eine Ausgabe von 2010, von einem Besuch Merkels in Marokko. Wir radebrechen hin und her, weil wir wissen wollen, worum es bei dem Artikel geht. Wir vermuten, es waren die Einreisebestimmungen für NordafrikanerInnen, sind uns aber nicht ganz sicher. Aber wir haben ein bisschen arabisch dazu gelernt: „kif kif“ hat nichts mit dem eben erwähnten Rauchgenuss zu tun, sondern könnte mit „so und so“ übersetzt werden.

Anschließend geht die Fahrt über eine recht abenteuerlichere Piste weiter. Einmal müssen wir aussteigen und Martin „opfert“ sich für uns. Er fährt den Bus über eine aus Holzplanken bestehende Brücke, die so gar nicht vertrauenserweckend aussieht. Tatsächlich poltert der Bus zwar unversehrt über die Brücke, aber die Holzbohlen schlackern teilweise lose auf der Unterlage. Ca. einen Kilometer vor unserm heutigen Ziel steigen wir noch mal aus und gehen den Rest zu Fuß. Das hat auch den Vorteil, dass  Martin und Steffi dort erstmal vorwarnen können, dass wir gleich nachkommen. Wir wandern den staubigen Weg entlang und erreichen ein winzig kleines Berberdorf, bestehend aus Lehmbauten. Die ersten beiden Häuser haben kleine Solarpanelle auf dem Dach und Satellitenschüsseln. Das Dorf wird im hinteren Teil noch mal durch einen kleinen Fluss geteilt. Wir erreichen den Bus, der derweil von vielen Kindern und Frauen umringt ist. Steffi teilt fleißig Kinderkleidung aus, achtet darauf, dass jedeR was abbekommt und Michael, Hartmut und Christian bringen mitgebrachte Kulis unter die Kinder, die als „Stilos“ heiß begehrt sind.

Martin hat derweil seine Dorfbekanntschaft erneuert. Er war hier schon mal vor einigen Jahren. In dieser Zeit hat er auch unsere Gastgeberfamilie kennengelernt. Damals war der ältere Sohn Mohamed krank, er hatte schon seit Tagen hohes Fieber und der Vater war zu Fuß losgegangen, um Aspirin zu holen. Martin hat den Jungen ins Krankenhaus gefahren und gilt dort nun als Retter. Entsprechend groß war die Freude auch bei dem kleinen Mohamed, derweil wohl so um die 10 Jahre alt und seiner Familie. Martin war schon mal mit einer Gruppe in Aoli und einige Familien im Dorf reißen sich darum, uns aufzunehmen. Diesmal sind die Eltern von Mohamed „dran“, obwohl Quidel und Melida sehr beengt auf der anderen Seite des Flusses wohnen, haben sie es sich sehr gewünscht. Wir schultern unser Gepäck und los geht es durch das Dorf und über eine stabile Hängebrücke. Etwas verlegen stehen wir vor der einfachen kleinen Lehmhütte, werden aber energisch herein gewinkt. Wir ziehen im dämmrigen Flur die Schuhe aus und betreten das einfach eingerichtete Wohnzimmer der Familie. Der Lehmboden ist mit schönen Teppichen bedeckt, bunte Kissen lehnen an der Wand. In einer Ecke steht eine kleine Kommode mit einem Gaslicht. Ein kleines Fenster mit verziertem Gitter und einer Plastikplane anstatt einer Glasscheibe gibt ausreichend Licht. Wir nehmen auf den Teppichen Platz und werden gleich mit Tee bewirtet. Dazu reicht Melida selbstgebackenes Fladenbrot und Sit (Öl). Quidel und Melida freuen sich sehr, dass wir ihre Gastfreundschaft angenommen haben. Melida wird heute für uns kochen, Zutaten haben wir hoffentlich reichlich mitgebracht, so dass es auch darüber hinaus noch für die Familie reicht. Viele Stunden später wird das Couscous mit Gemüse und Fleisch fertig sein. Melias Küche ist ein kleines Eckchen am Ende des schmalen Flurs. Arbeitsplatte ist der Lehmfußboden, auf einer kleinen Kommode an der Wand steht ein 2-flammiger Gasherd, gespeist von einer Gaskartusche. 

Natürlich hat es sich auch unter den Männern herumgesprochen, wer bei Quidel zu Gast ist und so ist nicht nur Quidel selbst da, sondern ein Arbeitskollege, mit dem er gemeinsam eine Miene hat und dessen Neffe, ein junger aufgeschlossener Mann, der schnell mit uns in Kontakt kommt. Nachdem Melida mit den Vorbereitungen fertig ist – ich habe noch nie eine Frau so schnell Gemüse putzen und schneiden sehen – kommt sie auch zu uns, hockt sich nieder und beteiligt sich an den allgemeinen Kommunikationsversuchen. Wir machen eine Namensrunde, aber unsere Gastgeber können sich die wenigsten Namen merken. Nur bei Michael klappt es, als er sich vorstellt, rufen die Männer gleich „Ballack“ hinterher. Irgendjemand kommt dann auf die Idee, uns arabische Namen zu geben. Steffi wird Fatima, Astrid Nora, Karin Hannah und ich Naima, Michael wird wie Allerortens Ali Baba genannt. Es wird getrommelt – auf einer Plastikschüssel und dem Servierblech, getanzt und gelacht, Martin holt seine Gitarre und alle lauschen andächtig. 

Unser Gastgeber kommt mit der Plastikschüssel, einem Wasserkessel und einem Handtuch zum Händewaschen. Nacheinander werden die Hände aus dem Kessel bespült und dann wird das Handtuch zum Abtrocknen gereicht, so haben alle (halbwegs) saubere Hände. Ein zweiter kleiner runder Tisch wird hereingetragen und Melida tischt das Essen auf zwei großen Platten für immerhin derweil 15 Personen auf. Auf einer Grundlage von Couscous ist Gemüse und in der Mitte Fleisch angerichtet. Gegessen wird mit der rechten Hand, es wird ein Häppchen Couscous mit den Fingerspitzen gegriffen, in der Handfläche zu einem Bällchen gerollt und dann in den Mund „geworfen“. Wir stellen uns natürlich nicht sonderlich geschickt an und so werden wir mit Bällchen von unseren GastgeberInnen „gefüttert“, die zur Erheiterung aller immer größer werden. Ganz wie es Sitte ist, werden uns die besten Stücke zugeschoben. Da ich es nicht so mit den Kohlehydraten habe, habe ich etwas verstärkt bei den Karotten zugegriffen, das wurde sofort bemerkt und daraufhin wurden mir immer wieder Karottenstückchen zugeschoben. Sehr aufmerksam! 

Nach dem Essen – wohl so gegen 22 Uhr – richten wir langsam den Raum für uns zum Schlafen zurecht. Das Tischchen mit den Tellern stellt Melida einfach nach draußen vor die Tür und schon ist Platz für unsere 8 Isomatten – aber gerade so eben. Vorher stellt sich insbesondere für uns Mädels noch mal die Frage nach dem WC. Melida führt uns nach draußen, geht 10 m über den Hof und verschwindet mit uns zwischen zwei Mauern, der Fußboden ist mit Stroh und Schafmist bedeckt. Sie bedeutet uns, hier sei das Klo, indem sie einfach die Röcke hebt und sich niederlässt. Wir machen es ihr nach, Gemeinschaftspinkeln am Abend, etwas ungewöhnlich, ist das doch „bei uns“ eher eine männliche Veranstaltung. 

Alle krabbeln unter ihre Schlafsäcke, wir löschen die Gaslampe und schnell kehrt nach einigem Geraschel Ruhe ein.

Schnell ist die Nacht vorbei, unsere GastgeberInnen sind früh auf und ziemlich laut dabei. Gegen 7:00 Uhr stehen auch unsere letzten Schlafmützen - zu denen auch ich gehöre - auf, packen alles zusammen, denn der Raum wird ja wieder gebraucht. Zum Frühstück gibt es süßen Tee, Fladenbrot und Sit. Nach dem Frühstück sollen wir die Mine unseres Gastgebers besichtigen, ich bin sehr neugierig. Astrid verabschiedet sich noch mal schnell zum fotografieren. Da es hoch in die Berge geht, ist noch mal Schuhwechsel angesagt und wir gehen kurz zum Bus runter. Aufgehalten werden wir von einer großen Ziegenherde, die vor uns über die Zugbrücke in unsere Richtung wechselt. Um die Tiere nicht zu verscheuchen, warten wir in angemessenem Abstand.

Der Hirte treibt immer wieder kleine Gruppen über die Hängebrücke, so allein trauen sich die Ziegen wohl nicht. Erst nachdem mehr als die Hälfte das andere Ufer erreicht hat, geht es mit einem Mal von selbst. Der Herdentrieb stärkt den Mut – das sieht mensch ja auch manchmal bei den Menschen. Als wir wieder zurück kommen, ist Astrid immer noch nicht wieder da. Langsam beginnen wir uns Sorgen zu machen. Uns wird bedeutet, der Neffe sei mit Astrid schon mal vorgegangen. Quidel und sein Freund führen uns in die steinigen, baumlosen Felsen. Wir steigen auf schmalem Pfad leicht bergan und erreichen nach einigen Biegungen die kleine Kochstelle der Männer, die aus einem alten Blechpott und einem Gasbrenner in einer Felsennische besteht. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu einem Loch in dem Felsen, dem Eingang zur Mine. Es ist dort so eng, dass immer nur eineR zum Gucken einsteigen kann, erst nach einigen Metern wird es breiter, ein Stück blindes Gestein, dann sichtbar funkelnde Mineralienbänder im Gestein. Richtig aufrechtstehen kann mensch nur an einigen Stellen. Es ist ein sehr mühsames und gewiss auch gefährliches Geschäft für die beiden Männer, die hier hauptsächlich Achate suchen.

Astrid bleibt weiter vermisst. Quidel läuft noch ein Stück den Berg hoch, um nach ihr zu schauen. Doch wir treffen sie erst auf dem Rückweg. Sie hat mit dem Neffen die exclusive Führung erhalten, hat weitere größere Minen gezeigt bekommen, sollte noch mit in ein Berberzelt, was sie aber dann doch lieber abgelehnt hat. Sie ist ziemlich geschafft, der junge Mann hatte ein kräftiges Tempo vorgelegt.

Zurück bei unseren GastgeberInnen müssen wir feststellen, dass Melida schon wieder am Kochen ist, zwischenzeitlich backt sie draußen in einem kleinen Verschlag mit Holzofen ihr Fladenbrot. Am Morgen hatten wir ihr noch zugesehen, wie sie auf dem Boden kniend den Teig in einer flachen Holzschüssel geknetet hat. Eigentlich sieht unser Zeitplan ein Essen nicht mehr vor. Wir hatten auch versucht dies zu kommunizieren - wohl vergebens - aber eine Ablehnung kommt natürlich nicht in Frage. 

Da es mit dem Essen erfahrungsgemäß noch dauert, fährt uns Martin hoch in eine Siedlung, die extra für die damaligen Minenarbeiter gebaut wurde und heute vollständig verlassen scheint. Doch Astrid erzählt, sie habe erfahren, dass hier auch immer wieder Menschen leben. Für uns sieht das alles ziemlich unbewohnbar aus, alle Häuser kaputt, selbst die Moschee ist ausgeräumt und verlassen, selbst die Leiter zum Minarett teilweise kaputt. Einige von uns trauen sich trotzdem die Holzstiegen hinauf. Michael und ich sind heute lauffaul, wir schauen einmal in die Moschee, suchen uns dann ein ruhiges Fleckchen am Straßenrand auf einem Stein. Michael ist in zwei Minuten eingeschlafen und ich schreibe – wie in jeder freien Minute – an meinem Reisetagebuch.

Heute gibt es bei Melida Gemüse, das wie gestern mit den Händen gegessen wird. Wieder bekomme ich die Möhren zugeschoben, da hat sich aber jemand was gemerkt. Das Gemüse wird mit Brot gegriffen und dann in den Mund transportiert. Anschließend kommt Melida mit einem Topf Fleisch in Rollen, das sie in Scheiben schneidet und jedem anbietet. Die äußere Schicht sieht nach Lederbändern aus, es könnte aber auch „was auch immer“ sein. Meine Experimentierfreude hält sich bei Fleisch sehr in Grenzen und ich bedeute „satt“, ich hoffe, es wird nicht als unhöflich betrachtet. Michael nimmt sein Stück, steckt es am Stück in den Mund und hat ausnehmend gut mit Kauen zu tun. Andere versuchen es mit auseinander nehmen, Steffi fragt, ob die äußere Schicht essbar sei, Melida nickt, aber ich glaube, so ganz hat sie die Frage nicht verstanden. Unsere Gastgeber langen jedenfalls gern zu. Und aus der Gruppe wird von den Mutigen übereinstimmend festgestellt: in der Mitte hat es nicht geschmeckt, das Äußere war zwar zäh, hatte aber Rindfleischgeschmack und war in kleinen Stückchen durchaus genießbar. … und was es nun wirklich war, werden wir wohl nie erfahren.

Nach dem Essen geht es an die Verabschiedung. Alle umarmen alle und es stimmt mich ein bisschen traurig, dass ich diese fröhlichen gastfreundlichen und toleranten Menschen nie wieder sehen werde. Insbesondere diese Reisestation wird mir gewiss immer in Erinnerung bleiben und hat auch „was bewirkt“. Sie hat es geschafft, meine Prioritäten wieder gerader zu rücken, die Erinnerung an diese Menschen wird mir hoffentlich noch lange helfen, wirklich Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, bei kleinen und größeren Unbequemlichkeiten oder Schicksalsschlägen gelassener zu reagieren – in welchem Überfluss leben wir, meist ohne es zu bemerken und zu schätzen.

Wir fahren zurück, es geht durch die verlassene Minenstadt, dort fassen Steffi und Martin noch mal Wasser für alle. Wir bummeln zu Fuß den Fluss entlang und ich nutze die freien Minuten in der Sonne sitzend etwas Tagebuch zu schreiben. Dazu ist immer zu wenig Zeit und ich bin oft mehr als einen Tag hinterher. An mir vorbei treibt eine alte Frau in bunter Kleidung eine große Herde Ziegen, selbstverständlich eine Berberin, sie sind so viel selbstbewusster und auch selbstständiger als die Araberinnen und haben auch deutlich mehr Rechte. So können sie sich beispielsweise scheiden lassen, haben oft über Haus und Hof zu bestimmen und werden auch in der Erbfolge berücksichtigt.

Die Fahrt geht zurück Richtung Midelt durch die karge steppenähnliche Ebene. Von hier aus steigt die Straße aus der kargen Hochebene Plaine des Arid in den Hohen Atlas. Wir erreichen den Marktort Rich, der lange Zeit der erste Ort nach 5 tägiger Kamelreise durch die Wüste war. Er ist heute Anlaufpunkt auch für Franzosen und Spanier, die mit ihren vier- und zweirädrigen Männer-Spielzeugen auf dem Weg in die Sanddünen der Sahara sind, um dort mit viel Krach und PS durch den Sand zu donnern (können sie derzeit in dem noch „wüstigeren“ Libyen nicht). Heute fahren wir nur durch Rich noch ein Stückchen in Richtung Hoher Atlas. Irgendwann biegen wir von der asphaltierten Straße auf eine schmale Piste um einen Platz für unsere Zelte zu suchen. Und es erweist sich als nicht einfach, hier auf dieser steinigen Ebene. Christian formuliert den Anspruch an Holz für ein Lagerfeuer, aber das sieht nicht so aus, als könnten wir da viel finden. Ein erster Platz wird wieder verworfen, wir fahren noch weiter in Richtung Gebirgskette. Dann erreichen wir ein kleines Plateau, hier wollen wir bleiben. Um die Zelte aufbauen zu können, müssen noch reichlich Steine weggeschoben werden und in der Nacht stelle ich fest, dass wir an einer Stelle geschlampt haben. AUA!
Mitten im Zeltaufbau erleben wir einen spektakulären Sonnenuntergang und als habe jemand das Drehbuch extra für uns dazu geschrieben, kommt auch noch eine kleine Eselkarawane vorbei, das Bild ist perfekt.

Der Abend endet windig und kalt. Wir sitzen gedrängt im Bus, trinken Tee und Gin-Tonic und dann geht’s ab ins Zelt. Für mich wird es eine sehr unruhige Nacht, der Wind zerrt an den Zeltplanen und gibt keine Ruhe.

Am Morgen werden wir diesmal mit sanfter Musik geweckt. Ruhig werden die Zelte gepackt und danach gibt’s Frühstück mit Kaffee! Anschließend wollen wir uns zu Fuß in Richtung Gebirgskette aufmachen, eine Schlucht lockt. Diesmal haben wir verabredet, dass jedeR sein Tempo läuft und wir uns in 3 Stunden wieder am Bus treffen. Leider ist es bedeckt und kühl, aber das soll uns nicht hindern. Wir gehen erst die Piste entlang, dann einen Pfad, der wohl von Eseln und Kamelen getreten wurde, die uns als kleine Karawane auch begegnen. Wir grüßen mit „Salam“ und ernten freundliche Gesichter, Fragen nach Zigaretten und als wir einer Ziegenherde begegnen, bekomme ich das Angebot, ein Zicklein zu kaufen, auf das ich gezeigt hatte, weil es so niedlich war. Das Handy am Ohr des Hirten einer Schafherde kommt uns in dieser abgelegenen Gegend ein wenig absurd vor, zeigt aber letztlich nur, auch hier ist die Zeit nicht stehengeblieben, obwohl es manchmal den Eindruck macht. Wir kommen an ein ausgetrocknetes Flussbett, sehen aufgeschichtete Steinmauern und Feuerstellen der Berber, die hier durchziehen.

Auf dem Rückweg fängt es an zu regnen und als wir den Bus erreichen, sind wir ziemlich nass. Ich nutze die Gelegenheit, mir schnell die sowieso schon nassen Haare zu waschen, es war höchste Zeit!
Mittags sind wir in Rich zum Essen und Einkaufen. Wir entern ein winzig kleines Restaurant, der Inhaber ist einerseits hoch erfreut über so viele Gäste, gleichzeitig aber auch reichlich überfordert. Einige der bestellten Getränke muss er aus einem Cafe gegenüber holen, es gibt – wie üblich – Tagine und Brochettes. Am nächsten Tag ist einigen etwas flau im Magen. Dagegen gibt es von Martin 3 gehäufte Esslöffel Kumin (Kreuzkümmel), die mit viel Wasser heruntergespült werden und Schlimmeres verhindern. Anschließend trennen wir uns, jedeR nimmt einen Einkaufsauftrag mit. Michael und ich sind für Eiernachschub zuständig und verlaufen uns dabei fast im Suk von Rich.

Der Regen begleitet uns weiter auf der Fahrt Richtung Toudra-Schlucht. Tief hängt der Himmel über dem Gebirgsmassiv rechts und links der Straße. Manchmal klart es etwas auf, aber richtig trocken will es nicht werden. Wir nähern uns den Bergen und rechts und links steigen Felsen auf. Eigentlich wollten wir heute noch durch die Schlucht, aber es ist schon 16:00 Uhr und das Wetter lockt nicht wirklich. In Amellago sehen wir Hinweisschilder „Camping“. Wir fahren durch den Ort, fragen beim 2. Anbieter, der für ein Massenquartier pro Person 130 DH haben will. Nein Danke! Wir fahren zurück und landen in einer kleinen, sehr hübschen Herberge, die 3 Zimmer sind genau richtig für uns und eine warme Dusche lockt. Begeisterung kommt auf, als ein Blick aufs Klo ein europäisches Sitz-Klo offenbart und es gibt sogar ein kleines Restaurant – welch‘ ein Luxus. Im Garten findet sich eine überdachte Sitzecke, die wohl sonst vor der Sonne schützen soll, heute schützt sie uns gegen Regen. Martin spielt Gitarre, alle duschen nach und nach und schließlich hört sogar der Regen auf. Es ist übrigens hier in der Gegend der erste Regen seit 2 Monaten. Toll also für die Menschen hier, doof für uns.

Für den Abend haben wir uns beim Wirt Abendessen bestellt. Neben der Wahl zwischen „soup or salat“ gibt es „surprise“, will heißen, er muss mal nachsehen, was die Vorräte so hergeben. Es entpuppt sich als leckere Tagine mit Reis, Tomaten, Oliven und Hackfleischbällchen. Diese Nacht schlafe ich so tief, dass ich nicht einmal den Muezzin hören, der hier besonders „laut und lästig“ gewesen sein soll.

Der Tag beginnt mit petit dejeuner = Kaffee, Fladenbrot, Butter, Olivenöl (sehr lecker!) und flüssiger Marmelade. Nachdem alles wieder im Bus verstaut ist, die Schuhe vom aufgeweichten Lehmboden soweit gesäubert sind, dass Martin sie im Bus zulässt, geht die Reise weiter. Da wir gestern schon ein Stückchen durch den Ort gefahren sind, wissen wir, dass es wieder viel Schönes zu sehen gibt und gehen ein Stück des Weges zu Fuß. Rechts steigen die Felswände steil auf, teilweise sind die Häuser schon vor langer Zeit in den Fels gebaut worden.  Links geht es abwärts zum Fluss, strahlendes Oasengrün gibt den Kontrast zu den ockerfarbenen Felsen. Auf dem Weg treffen wir eine alte Frau, gebückt durch die Lasten, die sie tagein, tagaus zu schleppen hat. Sie strahlt uns an, singt und tanzt uns vor und albert rum. Entweder hat sie heute extrem gute Laune oder hat schon ordentlich gekifft oder findet sie uns EuropäerInnen so absonderlich? Auch das wird eins der Geheimnisse bleiben, die diese Reise für sich behalten wird.

Weiter geht es Richtung Toudra-Schlucht, die in allen Reiseführern mit Superlativen beschrieben wird. Auf ca. 2.000 m Höhe machen wir halt, weil wir am Straßenrand ein nettes Cafe entdeckt haben. Zwar ist der Wind noch kalt, doch mit Jacke lässt es sich in der Sonne aushalten. Langsam rücken die Berge weiter zusammen. Der Verkehr auf der Straße wird touristischer. Nach etlichen Kilometern lässt uns Martin raus und wir laufen Asphalt. Schluchtenverwöhnt, wie ich von anderen Reisen bin, finde ich das alles wenig spektakulär. Rechts im Berg lärmen einige Touristen, meine Stimmung sinkt gen Null. Trübe latsche ich den Asphalt, ärgere mich über jedes Auto und die Welt an sich ist böse. Nach einiger Zeit sehe ich unseren Bus, er steht auf einem Parkplatz nahe der engsten Stelle der Schlucht, die hier wirklich spektakulär wäre, wären da nicht die diversen Händler mit ihren Ständen und unendlich viele Touris aus aller Herren Länder. Nach einer kurzen engen Stelle, die mit ohrenbetäubendem Lärm eines Generators gefüllt ist, wird es wieder weiter. Hotels reihen sich aneinander und am Fluss, der dort – woher auch immer – auftaucht, kampieren marokkanische Gruppen, machen dort Picknick, trommeln und lassen es sich gut gehen. Meine Stimmung hebt sich wieder und als mich der Bus einlädt, ist alles wieder ok.

Wir fahren weiter und bald wird der Blick frei auf die Sahara. Was aus dem Wetter werden will, ist noch nicht so wirklich ersichtlich. Dunkle Wolken wechseln mit sonnigen Abschnitten. Die Steinwüste, die wir nun durchfahren, wird nur wenige Male durch militärische Anlagen und kleine Orte unterbrochen, die Landesgrenze zu Algerien ist hier nicht weit. Manchmal blitzen rechts der Straße Palmenwipfel auf, Zeichen des uns begleitenden tiefer liegenden Oasenbandes des Oued Zis. Martin biegt irgendwann mal nach rechts unten auf eine bucklige Pflasterstraße ab. Wir haben die Oase Meski mit den blauen Quellen erreicht. Hier gibt es einen Campingplatz mit Pool, der von Fremdenlegionären im 1. Weltkrieg „über“ die Quellen gebaut wurde. Das Wasser ist sehr klar und einige Fischchen leisten den Badenden Gesellschaft.

Wir bauen unser Zelt unter Palmen auf, machen einen kleinen Gang durch die Oase. Bummeln an den kleinen Läden vorbei und werden sofort gecheckt, ob nicht Geld aus uns herauszuholen ist. Wir schachern eine Weile um eine blaue Jellabah für Michael, der junge Mann verlangt allerdings Traumpreise, aber nicht mit uns. Also trollen wir uns wieder. Als wir um die Ecke verschwinden, läuft er uns hinterher und versucht es noch mal, und siehe da, unser Angebot von 50 DH wird mit lautem Klagen angenommen. Wir wandern weiter in die Oase hinein, durch einen Palmenwald an einem kleinen Kanal entlang. Allerdings machen wir bald kehrt, das Licht wird immer düsterer und für Fotos reicht es schon lange nicht mehr. Michael und ich gehen Wäsche waschen, in der Ferne wetterleuchtet es. Martin und Steffi kochen Spagetti mit Thunfischsauce und Avocadocreme mit reichlich Knobi. Gerade als ich meine Klamotten ausspüle, fängt es kräftig an zu regnen. Wir flüchten in den Bus und da das Essen fertig ist, wird erst mal gegessen. Anschließend stellen Michael und ich fest, dass wir unser Zelt in einer (nicht gesehenen oder nicht sichtbaren?) Kuhle aufgebaut haben. Alles steht unter Wasser. Mit dem Klappspaten machen wir uns daran, das Wasser zum Abfließen zu bewegen – ein mühsames Geschäft. Anschließend wollen wir das Zelt umsetzen, doch da kommt Moulut, einer der Händler, der am Rande des Campingplatzes einen kleinen Laden sein eigen nennt. Er bietet uns an bei ihm im Verkaufsraum zu übernachten. Dankbar nehmen wir an und schleppen Isomatte, Schlafsack und nassgewordene Rucksäcke in seinen Trödelladen, dessen Rückwand aus Felsen besteht. Dort kann erworben werden, was Moulut so aufgetrieben hat: Gemälde, Tücher, Teekannen, ein Almgeläut wie es früher bei meinen Eltern hing, Wasserpfeifen, allerlei Musikinstrumente und auch ein Paar alte Skier sind dabei.

Nach und nach kommen auch unsere andern Mitreisenden zu Moulut. Martin bringt seine Gitarre mit, ein Tütchen macht die Runde und wir lassen es uns gut gehen.  Moulut braut Tee und sein Freund Moulut kommt auch. Die beiden Mouluts spielen zusammen in einer Band, die auch schon durch Spanien getourt ist. Molut I greift zur Trommel, Molut II zu einer alten Laute und schon spielen sie auf. Martin staunt nicht schlecht, als er vorher die Laute in der Hand hatte, war sein Eindruck: Die ist hin! Michael und ich sehen uns an, das wäre doch was für das Marsala-Festival in Hannover, wir nehmen uns vor, dort mal für die Moulut`s vorzusprechen. Wir erwerben eine CD, um diese Musik mit nach Hannover zu nehmen. Martin und die Moulut’s wechseln sich mit der Musik ab und so bekommen wir ein Konzert besonderer Art. Insbesondere Molut II ist - selbstverständlich neben Martin ;-) - ein begnadeter Musiker, der Laute und Gitarre beherrscht und in diversen Sprachen Lieder kennt und „landestypisch“ zum Besten gibt. Als er ein bayrisches Lied anstimmt, erkennen wir es allerdings erst nach den ersten zwei bis drei Sätzen, müssen dann aber sehr darüber lachen.

Heute ist es deutlich später als sonst geworden und müde trollen sich die anderen in ihre Zelte. Moulut I zeigt uns noch, wie die Türen verschlossen werden und dann haben wir das Trödelreich für uns. Ich lösche das Licht bis auf eine einzige kleine Funzel, die nun die Schatten an der Wand lebendig werden lässt. Hinter Lampen und Spiegeln lassen sich kleine Dhinns vermuten und ich bin gespannt auf die Träume, die sie bringen werden.

Der Tag beginnt mit Aufräumen, Zelt abwischen, Wäsche aufhängen und ähnlich unangenehmen Beschäftigungen. Frühstück gibt’s nebenbei. Michael und ich werden gerade noch so frühzeitig fertig, dass es noch für einen Cafe noir am Pool reicht. Der Himmel ist bedeckt und es läd nicht zum Bade – schade!

Heute wollen wir endlich in die Sandwüste, ein Trip, der von vielen – auch von mir – schon ungeduldig erwartet wird. Gegen 11:00 Uhr brechen wir auf, es ist nicht heiß, die Wolken werden langsam heller. Eine Zeitlang fahren wir die fast komfortabel anmutende N 13, die sich durch einen weißen Mittelstreifen auszeichnet. In Erfoud „erzwingen“ die Männer eine Bankpause, alle sind pleite und möchten noch mal einen Bancomaten suchen, finden und plündern. Auch Karin ist es ein Bedürfnis, bisher hat sich ihr jeder Automat widersetzt.

Eigentlich wollte Martin nach Rissani durchfahren, hält dann aber doch an, und warnt noch mal: Hier sei das Klima rau, die Menschen nicht freundlich. Wir haben keine Zeit das auszuprobieren, entern nur schnell den Automaten, für alle – bis auf Karin – erfolgreich. Die Arme, sie hat inzwischen herausbekommen, dass es ein technisches Problem zwischen den belgischen und marokkanischen Banken gibt. Wir lästern - kein Wunder, bei einem Land, das schon so lange keine Regierung hat - helfen ihr aber bereitwillig aus. Schnell sind alle wieder im Bus und weiter geht die Fahrt, nun wirklich nach Rissani. Hier legen wir eine Mittagspause ein, bummeln kurz durch einen festen Suk, auch hier gibt es Sandalen mit Autoreifensohlen zu kaufen. Anschließend sitzen wir vor einem Restaurant im Schatten am Rande einer lebhaft befahrenen und begangenen Straße: Autos, Esel, Menschen, Karren alles fröhlich durcheinander, ohne Stress und Geschrei. Es gibt Pizza Bebera, Omlette Berbera und Karin versucht sich an Spagetti. Und wenn mir jemand vorher erzählt hätte, dass ich am Rande der Sahara sitze und fröstele, ich hätte es nicht geglaubt.

Nach diesem letzten Stopp vor unserem Wüstentrip fahren wir jetzt Richtung Merzouga. Wir wollen allerdings nicht ganz bis Merzouga, dort fallen neuerdings Heerscharen von Touris ein, die mit ihren Bikes, Krads und was auch immer durch die Wüste knattern. Von weitem sehen wir nun endlich die hohen, rot-orange leuchtenden Sanddünen des Erg Chebbi. Schon weit vor Merzouga biegt Martin von der Straße für die letzten 9 Kilometer auf eine Sandpiste ab. Ab jetzt wird gerattert und gerappelt, das Wellblechprofil der Piste zwingt Martin zum Langsamfahren. Am Rande der Sanddünen liegt ein kleines Hotel. Dort fragt Martin, ob er den Bus stehen lassen kann. Er kommt mit der frohen Botschaft wieder, dass wir morgen Vormittag hier warm duschen und frühstücken könnten. Wir sind schwer begeistert.

Auf einer Plane vor dem Bus sortieren wir unsere Sachen und packen nur das wirklich Notwendige in den Rucksack. Neben den Übernachtungsutensilien (Zelt, Isomatte, Schafsack) packen wir noch Wasser und eine Apfelsine ein, das muss reichen. Ab hier wird gelaufen, wir wollen auf den höchsten Dünengipfel, der von hier aus zu sehen ist. Martin schätzt, dass wir so ungefähr 1 ¼ bis 1 ½ Stunden unterwegs sein würden. Ich hoffe, er hat seine Zeiteinschätzungen inzwischen meinem Tempo angepasst - er hatte. Martin, der Tapfere, packt noch Sachen für’s Abendessen und Frühstück ein. Danach gibt es in dem kleinen Hotel hinten auf der Terrasse noch einen Kaffee und gegen 17:00 Uhr ziehen wir los.

Seit wir in Marokko sind, hält Michael nach Skorpionen und Schlangen Ausschau und nun hofft (oder bangt?) er, dass die Wüste ihm welche zeige. Doch der Berber aus dem Hotel nimmt ihm alle Illusion, dort gäbe es nur Käfer und Mäuse. In enger Gruppenformation geht es los. Sonst laufen wir immer viel weiter auseinander, aber jetzt hat wohl jedeR etwas Respekt vor dieser Wanderung. Anfangs geht es ohne Steigung vorwärts, der Sand ist hart und trittfest, die Temperatur moderate 25°. Und schon treffen wir auch die angekündigten Käfer. Sie sind zuständig für die Entfernung des Kamelmistes, den sie in kleinen Kugeln vor sich her schieben. Wir sehen auch wieder kleine geschlängelte Spuren, sollte es sich doch um Michael Schlangen handeln? Aber sie gehören den Apotheker-Skind, einem Sandfisch, dessen getrocknetes und pulverisiertes Fleisch als Aphrodisiakum gilt.

Immer tiefer geht es in die Sanddünen, von denen die höchste ca. 250 Meter hoch ist. Wir umgehen einige Dünen und suchen nach dem einfachsten Weg. Hartmut sondert sich ab und geht eigene Wege – aber immer in Sichtweite. Immer öfter gibt es auch beschwerlichere Stellen, mit tiefem Sand, der immer dann gemeiner Weise besonders tief wird, wenn es auch steiler wird. Ich komme arg ins Schnaufen, bin mal wieder die Langsamste, aber was soll’s – ich genieße die einzigartige Landschaft. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke zeigt Steffi nach oben, dort oben in der Mulde nahe den beiden höchsten Dünen wollen wir campen. Doch das war mal wieder ein fieser Trick. Nach dieser Mulde geht es noch mal so richtig hoch, jetzt kommen auch andere ins Schnaufen, die Gruppe geht schon lange nicht mehr eng beieinander, sondern hat sich – fitnessbedingt – auseinandergezogen. Michael bietet sich an den „Besenwagen“ zu machen. Wir sind noch auf der Hälfte der letzten kräftigen Steigung, da kommt uns Steffi schon fröhlich hüpfend ohne Gepäck entgegen und bietet mir Hilfe an. Doch dieses Stückchen will ich es nun auch noch allein schaffen und das klappt auch. Hinter mir kommen dann auch Karin und Michael an’s Ziel. In der Mulde zwischen den beiden höchsten Dünen bauen wir nun in einer Reihe die Zelte auf. Da es windstill ist, geben wir uns beim Aufbau nicht wirklich große Mühe, wir wollen schnell fertig werden.

Nachdem Michael und ich fertig sind, gehen wir an den Rand der Mulde und schauen in die Weiten der Sahara, mit Blick auf den Rand der Sanddünen, dahinter Steinwüste ohne Ende. Wir sehen unseren Startpunkt, das Hotel mit der blauen Tür in Richtung Wüste. Auch von den anderen hat sich jedeR eine Stelle gesucht und genießt den Moment. Lange hält es uns aber nicht am Rand der Mulde. Ich will höher hinaus, auf den schmalen Grad an unserer Seite. Michael geht vor, immer 20 Schritte steil bergauf, dann Pause. Aber wir schaffen es und sitzen bald hoch über den anderen auf dem Grad der Düne. Die Welt liegt uns zu Füßen, ein unbeschreibliches Gefühl. Wir genießen diese Momente der Ruhe, kaum ein Laut ist hier zu hören. Schon als ich 20 Jahre alt war, hatte ich den Wunsch die Sahara zu sehen und nun, nach so vielen Jahren, ist aus diesem Wunsch Wirklichkeit geworden … und zwar genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.

Erst nach einer ganzen Weile kommen die anderen  zu uns hoch und vorbei ist es mit unserer Zweisamkeit und Nachdenklichkeit. Wir gehen gemeinsam weiter, noch ein Stückchen höher den Grad entlang, bis wir wirklich ganz oben angelangt sind. Von hier aus können wir das Dünengebiet nach allen Seiten überschauen, es ist gar nicht so groß, wie es uns die Fotos in den Magazinen immer glauben lassen, vielleicht insgesamt 25 km2. Weit entfernt von uns zieht eine Karawane durch die Wüste – Touristen, die wie wir den Sonnenuntergang sehen wollen. In einer spärlich bewachsenen Mulde stehen zwei Kamele, haben anscheinend frei oder sind ausgerissen, kein Mensch in ihrer Nähe. Nach einer Weile sehen wir, wie die Düne neben uns von Menschen bestiegen wird. Es sind zwei Kids, die mit Surfbrettern immer wieder versuchen abzufahren. Erst jetzt wird mir klar, warum bei Moulut im Trödelladen auch Skier zu finden waren.

Wir sitzen lange auf dem schmalen Grad, Christian albert im Sand herum. Einige Wolken schieben sich an den Horizont, die Schatten werden immer länger, die Kanten schärfer. Der Sand verändert minütlich seine Farbe, ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene Ockertöne gibt. Michael versucht den Sonnenuntergang auf seiner Kamera festzuhalten und fotografiert alle Minute. Diese Fotoreihe wird sich als der Niedergang seiner Kamera erweisen, etwas Sand gerät ins Objektivgetriebe – vorbei! Erst als die Sonne am Horizont verschwindet und es doch sehr kühl wird, verlassen wir unseren Sitz auf dem Grad. Michael versucht die Düne auf dem Po herabzurodeln, ich laufe mit großen Schritten talabwärts, im tiefen Sand fühlt es sich an, als sei ein Teil der Schwerkraft aufgehoben – ein Moonwalk.

Schnell wird es nun dunkel, Michael und ich nehmen die Schlafsäcke und kuscheln uns an den Rand der Senke zum Sternegucken. Wir suchen die gewohnten Sternbilder, finden den großen Wagen auf dem Kopf wieder und verlieren uns in der Fülle der funkelnden Sterne. Ein leichter Wind kommt auf, es wird kälter und wir klettern in unser Zelt. Kleine Böen ruckeln an den Planen und obwohl es nicht wirklich laut ist, kann ich nicht schlafen. Zu viele Bilder tummeln sich in meinem Kopf.  Gerade als ich endlich eindöse, frischt der Wind auf, kräftige Böen rütteln nun am Zelt und wir hören den Sand rieseln. Es wird eine unruhige Nacht. Böen wechseln sich mit Stille ab.

Während einer kräftigen Böe hören wir Astrid rufen: „Martin!“ Wir ziehen schnell Hose und Stiefel an und klettern aus dem Zelt. Dort steht Astrid in Hemd und Slip und hält Hartmuts Zelt in der Hand. Da die beiden Zeltbewohner Hartmut und Christian noch in den Dünen liegen, hat sich das unbeschwerte Zelt losgerissen und wollte wohl schon mal zu Tal fliegen. Derweil ist auch Steffi aufgetaucht und gemeinsam versuchen wir, das Zelt zu bändigen, was gar nicht so einfach bei diesem Wind ist. Durch den Lärm, den wir dabei veranstalten, sind nun auch Hartmut, Christian und Karin aufgewacht und kommen uns helfen. Schade, dass das keineR gefilmt hat, die Mädels leicht bekleidet beim nächtlichen Tanz ums Zelt. Wir müssen viel lachen, aber auch viel bibbern, es ist reichlich frisch hier draußen. Wir befestigen alle Zelte noch mal, dann kehrt wieder Ruhe ein – allerdings nur bei den Menschen. Der Wind bleibt noch lange frisch und böig, erst in den frühen Morgenstunden kann ich ein Stündchen schlafen. Unerklärt bleibt vorerst auch ein regelmäßiges Geräusch, das die Stille der Wüste stört. Ich tippe irgendwann mal auf einen Generator, weit hinten in den Dünen hatten wir ein Berberzelt für Touristen gesehen.

Früh werden wir geweckt, nach Frühstück und Zeltabbau geht es wieder an den Abstieg. Kein Vergleich mit dem Tag davor. Kein Schnaufen, Ächzen und Stöhnen. Michael und ich lassen uns trotzdem zurückfallen. So haben wir die Stille der Wüste wieder für uns.

Nach dem gemütlichen Abstieg, der wieder keinen Skorpion, wohl aber div. Mistkäfer vorhält, stürmen wir das Hotel und die Duschen. Lauwarmes Wasser spült den Saharasand aus Haaren und Augen, ein tolles Frühstück mit warmen Eiern, gerollten Pfannkuchen, KiriKiri-Käse (anderen Käse gibt es nach unserer Erfahrung nicht in Marokko), Marmelade, Margarine und Öl wird für uns serviert. Und nun klärt sich auch, was das seltsame Geräusch in der Nacht war. Am Rande des Erg Chebbi hat ein dreitägiges Musikfestival stattgefunden, das uzz-uzz der Techno-Musik der letzten Musiknacht schallte dabei bis in den frühen Morgen über die Wüste.
Martin drängt zum Aufbruch, er weiß, vor uns liegt noch eine lange Fahrt. Zurück geht es über den Wellblechsand, fehlende Pistenmarkierungen sorgen dafür, dass Martin sich leicht verfährt, aber dann finden wir die Straße doch.

In Rissani machen wir noch einmal Halt und haben nun etwas mehr Zeit für den Suk. Gestern hat Hartmut das Angebot einer Führung durch den Suk bekommen, heute nimmt er es wahr und wir schließen uns an, hier ist es wirklich sehr unübersichtlich. Wir bekommen den Eselparkplatz gezeigt, zwei kleine Tiersuks mit Schafen und Kühen, wir streichen durch überbaute dunkle Gassen, in denen alles angeboten wird, was mensch so braucht – oder auch nicht. Ich erstehe einen langen schwarz–bunt gebatikten Schal (der dann zu Hause bei mir im Zimmer als Vorhang sehr dekorativ vorm Fenster hängt), Hartmut steht der Sinn nach Grillfleisch: Kamel, Lamm und Rind werden erstanden. Neben uns am Fleischstand steht ein junger Berber in der üblichen traditionellen Kleidung, Turban und Jellabah, mit dem Handy am Ohr. Hier hat die Technik einen Entwicklungsschritt übersprungen. Ein Telefonleitungsnetz ist nie flächendeckend verlegt worden, der Handyempfang hingegen ist fast überall sehr gut.

Die Fahrt geht entlang des Hohen Atlas in Richtung Ouarzazate. Die Strecke führt wieder durch Sandwüste, seitlich begleitet von den schneebedeckten Gipfel des Jebel Ougnat und dem Jebel Saghro. Vereinzelte Akazienbäume und andere Büsche vermitteln einen Eindruck von Steppe, eigentlich gehören hier noch Giraffen, Elefanten und Antilopen hin, dann wäre das Bild perfekt. Doch schon die alten Römer haben dafür gesorgt, dass es hier kein Großwild mehr gibt.

Wir fahren wieder in den hohen Atlas hinein, der Bus muss klettern. An einem Aussichtspunkt halten wir und bewundern die Berge und Schluchten. Manche Bergkuppen sehen aus, als hätte ein Riese darauf gehauen, alles platt – so mancher dieser Bergkreise mutet wie ein großer Ufo-Landeplatz an. Weiter rechts sehen wir eine tiefe schwarze Schlucht, hier dürfte eine Menge Lava hinabgeflossen sein. Eigentlich wollen wir am El Mansour Eddahbi, einem großen See in der Nähe von Quarzazate, zelten. Aber wir sind ein bisschen spät dran und so suchen wir eine Stelle in den Bergen zum Campen. An einem trockenen Bachbett finden wir eine passende Stelle. Christian und Martin finden Holz für ein Grillfeuer und in einem mit Steinen ausgemauerten Loch machen sie ein Feuer. Ich habe ein wenig Bedenken, das Loch war gewiss für anderes vorgesehen, aber mein Einwand findet kein Gehör.

Nach einem kleinen Geplänkel um den besten Zeltplatz bauen wir unser Zelt auf und es wird schnell immer dunkler. Martin hockt am Grill und legt Lamm- und Kamelfleisch auf, das mit einem Mal doch nicht so reißend Absatz findet, wie gedacht. Mit der Dunkelheit frischt der Wind auf und schon wieder müssen wir im Bus essen. Ich befürchte mal wieder eine unruhige Nacht, aber unser Reiseleitungsteam findet doch noch den Windabstellknopf und so schlafen wir ruhig.

6:15 Uhr ist Wecken angesagt. Martin schmeißt die Musik an und mit verklebten Gehirnwindungen helfe ich beim Abbauen und Einpacken und werde langsam wach. Erst nachdem das Zelt verstaut ist, bekomme ich meinen ersten Kaffee. Morgens macht sich die Gruppe immer über mich lustig, ich sei ein Morgenmuffel? Die sollten mich mal erleben, wenn ich muffele!!  Heute steht wieder „fahren“ auf dem Programm. Wir wollen den Hohen Atlas queren. Ein grandioses Bergmassiv löst das andere ab. Wir kommen aus dem Staunen und Schauen nicht mehr heraus.

Schade, dass wir Ute nicht dabei haben. Sie könnte uns mit ihren geologischen Kenntnissen über Steinzusammensetzungen und Herkunft bestimmt weiterhelfen, doch so sind wir auf Vermutungen angewiesen. Eins ist sicher: hier waren irre Kräfte am Werk. Beim Abstieg aus der Sahara hatte sich mein Ischias gemeldet, ich hatte gedacht, ich könnte ihn ignorieren. Doch in einer Pause mit wunderbarem Ausblick klemmt er so, dass ich die Hilfe von Michael brauche, um von meinem Standort wieder in den Bus zu kommen. Also schmeiße ich eine Ibu ein und hoffe auf Linderung, die aber mal wieder auf sich warten lässt.

Am späten Vormittag kommen wir in die Gegend, für die Steffi und Martin einen „Spaziergang“ etwas abseits der Straße in ein Seitental hinein geplant haben, um dort ein abgelegenes Dorf zu besuchen. Zwei Stunden sind dafür angesetzt. Ich warne schon mal vor, da ich nicht weiß, was mein Ischias dazu sagen wird – lieber einen Tag etwas sachte, als den Rest des Urlaubs Schmerzen. Und es ist auch kein Problem, da der Hin- und Rückweg derselbe ist. Langsam trotte ich hinterher. Michael, der bei mir bleibt, muss sich nicht langweilen, hier – wie fast überall auf dieser Reise – gibt es ohne Ende Fossilien zu entdecken. Ich bin sehr neugierig, wie hoch der steinige Anteil unseres Gepäcks am Ende der Reise sein wird. Unten am Fluss kniet eine Frau, das hölzerne Waschbrett vor sich und bearbeitet ihre Wäsche. Wir wandern in das enge Tal, das Wetter zeigt sich von seiner guten Seite, die Sonne scheint. Langsam nähern wir uns dem Dorf. Rechts des Weges spielen drei Jungen am Rande eines Baches. Sie sind so in ihr Spiel mit einem Stöckchen vertieft, dass sie uns gar nicht wahrnehmen, obwohl hier doch Touris noch unter „Sensation“ verbucht werden und oft um Money oder Stilos angebettelt werden. Weiter geht es ins Tal hinein. Ein kleiner Junge, ca. 4 bis 5 Jahre alt, rennt hinter Michael her und hält die Hand ziemlich aufdringlich auf. Doch Kinder bekommen kein Geld von uns, obwohl Michaels weites Herz hier ganz schlecht „Nein“ sagen kann. Aber die Erfahrung darf sich nicht in den kleinen Köpfen festhaken, dass Schule vielleicht gar nicht nötig ist, um an Geld zu kommen.

Marokkos Kultur braucht kluge Kinder, die ihren Weg machen. Und wir wissen, Marokko ist auf dem richtigen Weg. Überall sehen wir neue Schulgebäude und die Regierung versucht mit einem weiten Schulbusangebot möglichst viele Kinder auch in die Schulen zu bringen. Trotzdem sind Schulwege von mehr als 2 Stunden zu Fuß noch völlig normal.

Michael und ich machen uns langsam an den Rückweg, ich will es sachte angehen lassen, denn heute Abend liegt auch noch ein Marsch mit Gepäck rund 600 Stufen hinab zum nächsten Camp an. Der kleine Junge bleibt hinter uns zurück, nimmt aber auch unsere Richtung. Etwas weiter vor uns hören wir eine laute aufgeregte Frauenstimme rufen, auf die der Junge reagiert. Er schlägt einen weiten Bogen um uns herum, hin zu seiner Mutter. Sie schimpft weiter lautstark mit ihm und verprügelt ihn kräftig mit einem frischen Stecken. Als wir näher kommen schickt sie ihn den Hang hinauf zu den Häusern, greift sich mit einem bösen Blick auf uns einen Stein, geht schnellen Schrittes vor uns her. Sie wirkt sehr angespannt, das ändert sich erst, als sie auf zwei andere Frauen trifft. Ich kann nur raten, vermute aber, sie hatte einfach eine höllische Angst, dass wir ihrem Sohn etwas tun, ihn mitnehmen oder was auch immer. Das ist ein Konflikt, der uns doch öfter auf dieser Reise begegnet. Unsere moderne Lebensweise trifft in Form von Landrovern und Crossfahrzeugen auf diese alte Tradition, in der die Menschen auf dem Stand des Mittelalters leben, allerdings hier und da begleitet von Satellitenschüssel auf den Dächern. Alte und neue Welt kommen sich nah und verursachen Ängste, die wir uns wohl so gar nicht ausmalen können. Also müssen wir uns rücksichtsvoll in dieser Welt bewegen, die Tabus erahnen und akzeptieren. Wir sind Gäste in dieser Welt und sollten uns so bewegen, dass nicht zu viel Achtung voreinander verloren geht.

Wir wandern den Weg weiter zurück – immer noch im Gespräch über die Mutter mit ihrem Sohn - da kommt uns auf unserm Schotterweg eine Gruppe Motorradfahrer (Spanier) entgegengedonnert. Sie sind so wenig aufmerksam, dass mich einer der Fahrer fast umgefahren hätte. Unter diesem Erlebnis bekommt die Reaktion der Mutter auch noch mal eine andere Bedeutung, wer weiß, welche Erfahrung sie schon mit solchen „Raudi“-Touristen gemacht hat. Bald verklingt das Dröhnen der Motorräder und es kehrt wieder Stille ein.

In dem Wäldchen auf der anderen Seite des Flusses entdecke ich eine Frau, die mit ihren Hühnern zum Fluss spazieren geht, ich zücke die Kamera, das werden Bilder für Tabea, meine Hühner-Fan-Tochter. An der Brücke sitzt immer noch die Frau mit ihrer Wäsche am Fluß, nun liegen ausgebreitet auf den Steinen drei sehr schöne bunte Teppiche in der Sonne zum Trocknen. Was für eine mühsame Arbeit. Auf der weiteren Fahrt sehen wir immer wieder Wäsche ausgelegt. Entweder ist heute traditioneller Waschtag oder die Wetterverhältnisse sind so, dass heute eben Wäschewaschen angesagt war.

Am Ende der Brücke gibt es ein kleines Cafe, einen Kiosk und eine Schlachterei mit aushängendem Fleisch. Diese Schlachtereien gibt es fast in jedem Dorf, am Haken hängen halbe Ziegen, Hammel und Hühner, hin und wieder auch mal ein Stück Rind. Fast immer hängt der nicht abgehäutete Kopf noch dran. Seit wir durch die Berge fahren, sind diese Fleischstücke mit weißem Tuch abgehängt, nur der Hoden hängt immer draußen. Mensch muss schließlich sehen, was es zu kaufen gibt. Wir setzen uns vor das kleine Cafe, bestellen Cafe Noir und warten darauf, dass die anderen zurückkommen. Ich genieße es, in Ruhe in der Sonne zu sitzen, endlich ist es mal wieder richtig warm. Aber was soll’s, das Reisewetter kann mensch sich nicht schnitzen. „Maken muschkin“ (macht nix) oder auch „inschallah“ (mit Gottes Hilfe) ist da die richtige Einstellung. Ich schreibe in Hast mein Reisetagebuch runter. Ich hänge immer noch fast einen ganzen Tag hinterher. Als die anderen zu uns kommen, fehlt Martin. Er ist an den drei bunten Teppichen hängen geblieben und feilscht wie ein alter Berber. Als er wieder kommt, macht er einen recht zufriedenen Eindruck, dass könnte geklappt haben.

Als wir los wollen, geht Michael zahlen und wird um 100 DH erleichtert, das erscheint nicht nur Martin zu viel. Er rechnet nach und wir kommen gemeinschaftlich auf max. 70 DH. Martin lässt daraufhin mit dem Cafebesitzer ein lebhaftes und engagiertes Gefeilsche laut werden. In einer Mischung aus arabisch, spanisch und englisch macht er klar, dass der Kaffee überall 5-6 DH kostet und nicht mehr. Der Wirt fühlt sich auf die Füße getreten und rückt die 100 DH wieder raus und 5 DH mehr zur „Gesichtswahrung“. Wir sammeln Kleingeld zusammen, bezahlen die 70 DH und lassen selbstverständlich auch die 5 DH auf dem Tisch liegen. Nebenbei wird Martin auch handelseinig über den Teppich und wir fahren mit dem Bus zur Trockenstelle um ihn zu holen. Der Teppich ist bezahlt, Martin will ihn einladen, da bekommt einer der „Händler“ einen Anruf vom „Patron“. Jener ist gegen den Handel und so muss Martin den Teppich da lassen. Ob diese Verweigerung in Zusammenhang mit dem Preiskampf beim Kaffee stand, wird auch zu den Dingen gehören, die wir nie erfahren werden. Im Bus unterhalten wir uns noch eine Weile über den Kaffeepreis. Es wäre für uns nicht dramatisch gewesen, die 100 DH (10 Euro) zu bezahlen, aber es ist nicht in Ordnung, wenn uns der Wirt als Touris „melken“ will. Mag sein, dass die motorenstarken Spanier und Franzosen hier schon die Preise verdorben haben.

Weiter geht die Fahrt durch den hohen Atlas über eine Asphaltpiste, die diesen Namen immer seltener verdient. Regen und Sturm haben die Felsen verwittern lassen und die Straße ist immer wieder verschüttet worden. Zwar sind die dicksten Brocken von der Straße geräumt, aber der Belag hat doch sehr gelitten. Auch auf dieser Strecke werden wir wieder - wie schon vorher einige Male - durch kleine "Straßenräuber" aufgehalten. Kleine Jungs stehen mit Schaufel und Spitzhacke an einer provisorisch geräumten Stelle und immer wenn ein Fahrzeug kommt, kommen sie ins Arbeiten und hoffen auf Bakschisch. In der Steinwüste ist uns die "weibliche" Form davon begegnet, kleine Mädchen rennen an den Straßenrand, um mit einer leeren Wasserflasche zu wedeln.  In allen Fällen beobachten wir im Hintergrund die wartenden Erwachsenen, die die Kids gewiss gleich um das erworbene Geld erleichtern. Eigentlich in beiden Fällen ein wenig lohnendes Geschäft: Die Marokaner kennen das schon und Touris kommen auf diesen Strecken sehr selten vorbei.

Insbesondere für Martin am Steuer wird die Fahrt nun sehr anstrengend. Ich sitze eine Weile vorn auf dem Beifahrersitz und gerade hier wird mir klar, wie schwierig die Piste zu fahren ist. Ich biete Martin an, ihn beim Fahren auch ablösen zu können, ich bin durch meine Zeit als Busfahrerin auch solche Pisten gefahren. Aber Martin nimmt das Angebot nicht an und wenn ich ehrlich bin, ich an seiner Stelle hätte es auch nicht getan. Da kann ja jede kommen und sagen, sie könnte das. Cool

Enge Kurven lassen – auch bei sehr geringem Verkehr – immer doch Gegenverkehr vermuten, der auf der teilweise einspurigen Fahrbahn zu gefährlichen Ausweichmanövern führen müsste. Wir haben Glück und nur Gegenverkehr an Stellen, an denen auch 2 Busse aneinander vorbei passen. Uns begegnen fast nur abenteuerliche beladene Busse unserer Größenordnung, mit sehr viel Gepäck auf dem Dach und darauf fast immer auch noch Fahrgäste. Martin erzählt, dass diese Fahrt über den Hohen Atlas auch für die Berber sehr teuer ist. Sie bezahlen oft für einen Dachplatz 12 DH oder mehr. Außerhalb dieser Route sind die Preise für die Mitnahme in den Mitfahrtaxis und Bussen deutlich niedriger. Außerdem begegnen uns einige wenige touristische RadfahrerInnen, davon ein älteres französisches Paar, die mindestens schon die 70 erreicht haben. Wir drücken unsere Hochachtung aus, diese Strecke mit dem Fahrrad dürfte schon Jüngeren reichlich zu schaffen machen.

Nach diversen Pässen, von denen der höchste 2.100 m hoch ist, verlassen wir langsam den Hohen Atlas und erreichen eine fruchtbare Ebene mit vielen Kornfeldern, in denen auch immer wieder Olivenbäume stehen. Das Korn ist auf vielen Feldern schon reif. Es steht sehr mager und niedrig und wird hier meist noch von Hand mit der Sichel geerntet, zu Garben gebunden und später gedroschen. Wir passieren die berühmte Felsbrücke Imi nIlfri, die Hartmut auf seinem Programm hat. Mir scheint, dass Martin wohl von sich aus dort nicht gehalten hätte – er ist jetzt schon reichlich kaputt von der Fahrt und möchte endlich Feierabend machen. Einige von uns steigen die vielen Stufen in die Schlucht ab – aber mehr als 25 Minuten will Martin nicht warten. Das ist mir zu knapp und drum bleiben wir oben. Martin drängelt bestimmt auch berechtigt, vor uns liegen noch 600 Stufen und der Zeltaufbau, das alles wollen wir noch im Hellen schaffen. Kurz nach 18 Uhr sind alle wieder da und die Fahrt geht weiter. Von weiten Teilen dieser Fahrt fehlen mir leider Fotos, mein Akku ist leer.

In Ouzoud angekommen stellen wir den Bus auf einem bewachen Parkplatz ab, schultern unsere sparsam bepackten Rucksäcke, gehen an vielen kleinen Lädchen und Restaurants entlang, steigen 1 Stufe hoch und 627 Stufen gut ausgebaute Stufen wieder ab. Nach einer Weile wird der Blick frei auf einen beeindruckenden Wasserfall, der in drei Stufen ins Tal stürzt. Unten angekommen müssen wir noch über Steine klettern und über eine (sehr) provisorische Brücke den Bach überqueren. Auf der anderen Seite geht es über Naturstufen sehr unterschiedlicher Höhe wieder hinauf. Langsam wird es dämmrig. Im verbleibenden Restlicht bauen wir unsere Zelte auf und sammeln uns anschließend auf der dunklen Terrasse des Campingplatzes. Elektrisches Licht gibt es hier nur aus einer Glühbirne in der Küche, die von einem Solarpaneel gespeist wird.

Martin hat gleich bei der Ankunft Tagine für alle bestellt und das übrig gebliebene Rinderfilet dem Wirt dazu in die Hand gedrückt. Das löst nicht bei allen nur Begeisterung aus, lässt sich aber nicht mehr ändern. Mit den Getränken kommt auch Licht in Form von Kerzen und später zum Essen ein Gaslicht. Leider ist die Tagine diesmal nicht so toll, unsere ist so stark angebrannt, dass nur die obere Hälfte überhaupt essbar ist. Pech – aber der Hunger treibt’s rein. Wir kriechen ins Zelt und die Nacht ist ruhig. Zweimal werde ich allerdings von lautem Krötengequake direkt neben meinem Ohr geweckt.

Ich stehe früh auf, setze mich auf die Terrasse und habe endlich!! mal richtig Zeit für mein Reisetagebuch. Als ich aufschaue, sehe ich eine ganze Reihe Affen über die Felsen zum Wasser laufen. Sie klettern fast senkrecht den Felsen hoch, springen in hohen Sätzen über Felsbrocken, wedeln mit ihren Ärmchen durch’s Wasser und sind Lebensfreude pur. Nach ca. einer halben Stunde verschwinden sie in Richtung große Treppe. Ich vermute, sie wollen dort ihr Frühstück von den Touris abholen. 

Auch Michael taucht irgendwann mal auf. Er hat in Ruhe ausgeschlafen. Wir brechen in Richtung große Treppe auf, wollen das Frühstücken mit Akkuladen verbinden. Schnell findet sich ein kleines Restaurant, mit dem Blick auf die Fälle essen wir Omlette fromage – natürlich mit Kirikiri. Nach dem Frühstück steigen wir langsam auf, halten an den passenden Stellen und bewundern erst mal in aller Ruhe den Wasserfall. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke nach oben treffen wir die Affenbande wieder. Wie ich schon vermutet hatte, hier wird gefrühstückt. Da schon eine ganze Menge Touristen unterwegs sind, müssen sie auch nicht über Hunger klagen. Vorn, direkt an den Stufen sitzt der Clanchef und haut sich den Wanst voll, im Hintergrund einige Halbstarke und eine Affenmutter mit Baby im Fell, die bekommen, was Chefe runter fällt. Ob allerdings die mitgebrachten Pfannkuchen das artgerechte Futter für die Tiere sind, wage ich zu bezweifeln.

Am Ende der Treppe angekommen, gehen wir nah an den Rand der Cascaden und können frei von jedem Geländer in die Tiefe schauen. Das kribbelt im Bauch, es geht fast senkrecht hinunter. Wir wollen auf die andere Seite des Flusses, dort haben wir auch schon andere Leute gesehen. Nach einigen vergeblichen Versuchen merken wir, dass hier eine Brücke fehlt. Wir gehen landeinwärts, umrunden viele Parkplätze, nehmen in einer schrammeligen Bar noch einen Cafe Noir, verbunden mit einem Klogang, der in der freien Natur gewiss angenehmer gewesen wäre. Und wir finden die notwendige Brücke. Die vielen – jetzt freien - Parkplätze vermitteln uns eine Idee davon, was hier so los ist, wenn das Wetter besser ist – oder am Wochenende? Jedenfalls will jedeR MarokkanerIn einmal diese Wasserfälle besucht haben. Sehr verständlich in einem Land, das in weiten Teilen meist staubtrocken ist.

Wir wandern einen Pfad durch ein mageres Kornfeld und suchen den Rand der Schlucht. Am Ende des Kornfeldes sehen wir eine durch eine Holzschranke abgesperrte Wiese, von der sich Michael fast abschrecken lässt. Wir umrunden sie, überqueren eine stoppelige Wiese und haben den Felsrand gefunden. Dafür werden wir mit einer tollen Aussicht belohnt. Nun soll es flussabwärts gehen, wir finden nach einer Weile einen Eselpfad, der sich bald als der einzige markierte Wanderweg dieser Reise erweist. Es geht in vielen Windungen bergab, durch Olivenhaine mit Bewässerungsgräben, die gut gefüllt sind. Der Eselspfad ist nicht nur markiert, er ist auch der richtige Weg zurück in unser Camp. Dort verstauen wir unsere Jacken, die wir jetzt nicht mehr brauchen, es wird gemütlich warm, trinken einen leckeren frisch gepressten O-Saft und brechen dann wieder flussabwärts auf. Der Pfad führt uns an weiteren kleinen Restaurants und Cafes vorbei. Eines heißt „Afrika“. Wir beschließen morgen früh dort zu frühstücken.

Der Pfad wird schmaler und führt uns an eine sehr!!! provisorische Brücke. Wie versuchen unser Glück, mehr als nass werden kann hier nicht passieren. Es klappt und wir landen in Jamaika. Es handelt sich um ein kleines Cafe, das von einem Bob Marley-Fan geführt wird. Es dominieren Jamaikanische Farben und „peace and love“. Hinter Jamaika queren wir über eine ebenso schrammelige Brücke wieder den Fluss. Wir folgen dem Pfad, müssen uns irgendwann entscheiden: rauf oder runter. Wir nehmen „runter“ und landen auf einem Felsen über dem Fluss, mit Blick auf eine Badestelle. Hier versuchen sich einige Franzosen im Felsenspringen. Unser Standort liegt ca. 15 bis 20 Meter oberhalb des Flusses und der Älteste der Truppe traut sich tatsächlich auch, von diesem Felsen zu springen. Ich mag gar nicht hinschauen. Und es scheint auch nicht so gut gewesen zu sein, denn er bedeutet den anderen, dass sie das lieber lassen sollen. Männlich wichtig, wie die Herren der Schöpfung manchmal sind, müssen sie noch eine ganze Weile überlegen, ob sie diesem Ratschlag folgen. Doch letztlich siegt der Göttin sei Dank die Vernunft und sie trollen sich zu Fuß nach unten. Michael und ich schauen noch eine Weile zu und beschließen dann, dass diese Stelle auch für uns gut zum Baden ist. Sollte also das Wetter morgen schön sein, könnten wir nach dem Frühstück hier eintauchen.

Wir entscheiden uns, noch ein Weilchen den Fluss abwärts zu wandern, es ist noch genug Zeit. Wir nehmen also nun den oberen Weg, klettern über Felsen, bewundern die seltenen Blumen, die wir hin und wieder sehen, über uns ein weiter Felsvorsprung, der heute wohl Schafen und Ziegen als Stall dienen mag. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass unsere Vorfahren dort auch schon Schutz und Unterkunft gesucht haben. Eigentlich bekomme ich Lust dort hochzuklettern, doch der Nachmittag ist schon fortgeschritten und so verzichten wir darauf – vielleicht morgen? 
Irgendwann auf dieser schönen Wanderung meldet sich Michaels Handy, es ist Jörn, doch die Verbindung kommt nicht zustande. Ich schimpfe ein bisschen, Jörn weiß doch, dass wir in Urlaub sind. Wir gehen unseren Weg zurück, machen Pause bei Bob Marley, dort gibt es aber weder Jamaika-Rum noch andere Alkoholika, sondern nur die üblichen Kaltgetränke und Tee. Martin weiß abends allerdings zu erzählen, dass er dort gelernt habe, dass der beste Ouzo aus Israel stammt.

Zurück am Camp treffen wir einige unserer Gruppe in der „Höhle“, einem abgedeckten Felsvorsprung mit Matratzen an der Wand und einigen Tischen. Die Stimmung ist gedrückt, doch ich verstehe nicht so recht warum. 
Michaels Handy klingelt wieder. Diesmal ist es Ute, während er telefoniert, wird seine Miene ernst: „Ich sage Fee, dass sie gleich Tabea anrufen soll!“ Mir wird ganz anders im Bauch – was ist los? Als Michael meine Miene sieht, gibt er mir das Telefon und Ute erzählt mir, dass Tabea im Radio von dem Bombenattentat in Marrakesch gehört hat. Dieses Attentat bleibt – wie sollte es anders sein – Thema des Abends. Unser Gruppe geht unterschiedlich damit um, zwischen Witzchen reißen und dem Bedürfnis die Reisepläne zu ändern ist alles dabei. Ich bin sicher, unsere Reisepläne wird es gewiss ändern, hatten wir doch zum Abschluss noch 2 Tage in Marrakesch geplant. Ganz in der Nähe des Anschlagortes sollte unser Hotel sein.

Nach dem Essen sitzen wir noch in der „Höhle“ zusammen, Martin hat etwas von den Biervorräten rausgerückt und der Rest der Ginflasche wird geleert. Die Stimmung ist gedrückt, die Ansichten weiter unterschiedlich. Einige möchten die Reise „nach Plan“ weiterführen. „Marrakesch steht auf dem Programm, deshalb bin ich hier“, andere machen deutlich, dass Marrakesch wenige Tage nach dem Attentat gewiss nicht das Marrakesch ist, das wir besuchen wollten. Martin bestätigt diese Ansicht, er hat sich umgehört und berichtet, dass die meisten Touristen Marrakesch verlassen hätten und dass sehr viel Polizei aufgefahren worden wäre. Die Zahl der Toten variiert je nach Bericht zwischen 14 und 80. Egal wie viele es sind, es ist schrecklich.

In der Nacht fängt es wieder an zu regnen. Als ich nach oben zum Kopfende meiner Isomatte greife, erwische ich meine nasse Fleecejacke. Sch… Der Rest des Innenzelts scheint aber trocken. Erst morgens sehe ich, dass auf Michaels Seite auch die Innenwand nass ist, das Zelt war nicht ausreichend abgespannt. Ich stehe früh auf, lande beim aus dem Zelt krabbeln mit Händen und Knien im Vorzelt in einer Pfütze. Wir haben es anscheinend nicht so mit dem Zelten und dem Regen. Allein sitze ich bei einem Cafe noir in der „Höhle“ und bekomme den Kopf nicht frei. Michael, der nach einer Weile hinzukommt, ist in Gedanken schon beim Rückflug und möchte ihn am liebsten vorverlegen. Die Stimmung ist wie das Wetter, grau und gedrückt.

Zum Frühstück wollten wir nach „Afrika“, die anderen hatten davon gehört und wollten sich anschließen. Wir warten darauf, dass der Regen aufhört und brechen dann auf. Jemand fragt, ob dort auch wirklich offen ist – woher sollen wir das wissen? Der Gang nach „Afrika“ ist nicht schön, wir stampfen durch den Lehmmatsch, es ist glitschig und ungemütlich und als wir ankommen sehen wir, dass es dort a) sehr zu ist und b) sehr nach gestriger Fete aussieht. Eine Gitarre und ein Banjo stehen noch draußen. Wir stehen so rum und beraten, da kommt ein völlig verpennter Marokkaner aus der Hütte, der uns andeutet, wir könnten blieben, er würde sich kümmern. Wir ziehen es allerdings vor, doch zu gehen – so gemütlich wie gestern beim schönen Wetter ist es heute dort „so ganz in grau“ nicht mehr. Also gehen wir doch wieder rüber auf die andere Flussseite Richtung große Treppe. Es bleibt alles beim Alten: Omlette fromage und Cafe noir und zu Michaels Freude entdecken wir ein „europäisches“ Klo.

Nach dem Frühstück geht es die 627 Stufen hoch zum Bus. Auf der Hälfte machen wir halt und Michael lässt sich ein Hennatatoo in Form eines Skorpions aufmalen. Wir holen Lektüre, warme Socken, ich wechsele die Hose. Auf dem Rückweg merke ich meine Muskeln, sie zittern beim Absteigen und mein Ischias meldet sich auch wieder – die Welt ist schlecht! Kurz vor dem Camp fängt es an zu schütten. Wir stellen uns bei einem Händler unter und ich erstehe zwei handgewebte Jäckchen für Lenja und Malte, meine süßen Enkelkinder. Sie sind bestimmt noch viel zu groß, aber sie gefallen mir einfach gut. (Nachtrag: Kommentar meiner Tochter: Die ziehen sie an, wenn ich sie im Waldorfkindergarten anmelde.) Der Händler lädt uns zum Tee ein und wir radebrechen ein bisschen, bis der Regen aufhört.

Dann sitzen wir in der Höhle, es regnet schon wieder. In einem trockenen Moment bekommen wir Besuch von der Affenbande. Diesmal trauen sie sich bis auf die Terasse und Christian füttert sie mit den restlichen Bananen, das ist doch wenigstens etwas artgerechter! Zum Nachmittag hin kommt Martin vorbei und wir besprechen die Übernachtungssituation. Die meisten Zelte sind durch den Dauerregen pitschnass und eingesaut. Wir haben die Wahl: Entweder Khaima oder Zimmer. Selbstverständlich entscheiden sich die meisten für Khaima, wann hat mensch schon mal die Möglichkeit in einem Berberzelt zu übernachten. Nur eine unserer Mitreisenden entscheidet sich für das Zimmer. Sie ist stark erkältet, hat Fieber und sehnt sich nach Ruhe und Wärme. Wir räumen die Zelte aus und nun erkenne ich, warum es nachts so laut neben meinem Ohr gequakt hat. Unter der Zeltplane hat sich ein Krötenpärchen versteckt und schaut nun völlig verdutzt, dass die Deckung weg ist. Gerade scheint einen Moment die Sonne und wir hoffen auf trockene Zelte zum Einpacken. Wir beziehen das Khaima, das mit Matratzen bestückt ist, gerade ausreichend für uns alle, in der Mitte durch einen Vorhang getrennt.

Auf der Terasse hat der Besitzer einen kleinen Tisch mit Fossilien und anderen Steinen eingerichtet. Hier ist eindrucksvoll erkennbar, was der Reiseführer von Martin beschreibt: Achtung bei Fossilien, manche dieser Funde sind hübsch anzusehen, kommen so aber in der Natur nicht vor.

Der Tag bleibt trübe, die Stimmung auch. Wir hocken in der Höhle (Regen) oder auf der Terrasse (kein Regen), lesen, frieren oder schlafen. Zum Abend hin raffen wir uns noch mal auf. Die doch noch trocken gewordenen Zelte werden zusammengepackt und wir bringen sie schon mal hoch zum Bus, dann müssen wir morgen früh weniger tragen.

Die Nacht im Khaima wird besser als erwartet. Weder fressen mich Mücken, Ameisen oder andere Raubtiere, noch werde ich durch Schnarchen, Schniefen oder Husten anderer geweckt, obwohl wir doch relativ dicht an dicht gelegen haben. Inzwischen sind einige von uns von irgendeinem doofen Virus befallen, der sich je nach Konstitution durch Husten, Schnupfen, Hals- oder Ohrenweh oder auch durch rote Augen auszeichnet. Bis gestern waren Michael und ich noch verschont geblieben, heute hat auch Michael nach Aspirin gefragt – ein schlechtes Zeichen! Das Khaima hat sich als halbwegs dicht erwiesen, nur Martins Rucksack hat etwas von dem nächtlichen Regen abbekommen.

Gut bepackt geht es an den morgendlichen Aufstieg. Die Nacht hat den Wasserfall in einen Schaumfall verwandelt, überall liegen hohe Schaumberge. Wir vermuten eine natürliche Ursache, oberhalb des Wasserfalls gibt es keine Chemieindustrie oder ähnliches und das Wasser hat sich lehmig braun gefärbt. Wir unterbrechen die Treppenkraxeleien noch mal für Omlette fromage und Cafe noir und dann gibt’s keine Ausrede mehr. Hoch geht es die 627 Stufen, minus eine.

Eigentlich hätte heute Marrakesch auf dem Programm gestanden, doch wir haben uns entschieden, dass wir den Marrakeschaufenthalt angesichts des Attentats auf einen Tag verkürzen. Wir haben uns Demnate als Ziel ausgesucht. In meinem Reiseführer nur als Durchgangsort erwähnt, doch Martins Reiseführer verspricht uns für morgen dort einen sehr großen Suk. Während Martin und Steffi für uns ein Hotel suchen (einzelne Reisende bestehen auf Zimmer mit Dusche), bummeln wir durch Demnates Gässchen, die – wie überall – alles über Gebrauchsgeschirr, Brot und Fleisch und dies und das bieten. MB und ich erstehen blaue Plastiksäcke für unsere Rucksäcke, da sich unser Reisegepäck ja doch ziemlich vermehrt hat und wir Schlafsäcke und Isomatten außen anbringen müssen.

Wir beziehen unsere Zimmer im Hotel Atlas und kaum haben wir uns eingerichtet, da klopft Hartmut schon an der Tür. Er hat ein Hamam aufgetrieben und fragt, ob wir Lust haben mitzukommen. Michael hat so gar keine Lust, er hat immer noch das 42°-Hamam in schlechter Erinnerung. Ich bin neugierig, also will ich mit. Zu fünf laufen wir los, kaufen unterwegs Dinge, von denen wir glauben, dass wir sie brauchen: einen Hamamwaschlappen (ganz rau, aua) und ein Eimerchen zum Übergießen. Am Hamam angekommen stellen wir fest, schon der Eingang ist getrennt nach Männlein und Weiblein. Also teilt sich unsere Gruppe. Wir drei Frauen treten ein, zahlen unsere 9 DH Eintritt und stehen ein bisschen unschlüssig herum, weil wir nicht wissen, wie es weitergeht. Wir werden in einen anderen Raum gewinkt, bekommen große Eimer in die Hand gedrückt, die mit einer Nummer beschriftet sind. Im Gegenzug dazu entdecken wir Fächer für die Kleider, wo vorher die Eimer standen. Astrid – die ein bisschen Französisch spricht – fragt nach Massagen. Für 30 DH können wir sie zusätzlich dazu buchen – ahnungslos, was wohl auf uns zukommt. Wir ziehen uns aus – es ist hier üblich, den Slip anzubehalten – und werden von drei Frauen in den nächsten Raum begleitet. Das Licht ist dämmrig, an den Rändern sitzen Frauen und Kinder auf der Erde, seifen sich ein, waschen sich die Haare, plaudern leise miteinander. Für uns wird eine Ecke freigemacht, der Boden mit einigen Eimern Wasser abgespült und uns wird gedeutet, wir mögen uns setzen. Jede von uns wird nun zügig eingeseift und abgespült, indem uns mehrere Eimer Wasser über den Kopf und den Körper geschüttet werden. Wie gut, dass ich mein Duschgel dabei hatte, das reicht gerade so für uns drei. Dann geht es in den Nebenraum. Dort ist der Fußboden beheizt, wir sollen uns hinlegen und werden nun mit dem mitgebrachten rauen Waschlappen abgerieben und zwar kräftig! Schön der Reihe nach: Rücken, linke Seite, Vorderseite, rechte Seite. Wir wissen gar nichts so genau, ob wir lieber jammern (heißer Fußboden und rauer Handschuh) oder lachen sollen. Die Situationskomik siegt: wir sind kräftig am kichern und „unsere“ drei Frauen kichern mit, Lachen ist international. Zum Schluss hin ist mir, als sei von meiner Haut mindestens die Hälfte runtergeschrubbt. Dann geht es wieder in den Nebenraum, wir werden wieder eingeseift, Haare gewaschen, dann bekommen wir ein bisschen Duschgel in die Hand gedrückt und uns wird gedeutet, dass auch unser Initimbereich Seife abbekommen soll, die Mädels schütten ordentlich Wasser hinterher. Fertig! Nach gut einer halben Stunde stehen wir sauber geschrubbt wieder auf der Straße.

Wir entschließen uns noch einen Kaffee trinken zu gehen und werden mal wieder als Rarität bestaunt: Drei Frauen in einem Cafe, skandalös! Hier stelle ich fest, dass mein Hennatotoo, das ich mir am Wasserfall hab malen lassen durch die Schrubberei ziemlich gelitten hat – schade! Zum Essen abends landen wir in einem Minirestaurant mit 2 Tischen, das ausschließlich gebackenen Fisch, gebackenes Gemüse und Pommes im Angebot hat, alles schon kalt, trotzdem erstaunlich lecker, bis auf die kalten Pommes, aber die sind ja eh nicht mein Fall. Wir schlendern weiter durch den Ort, finden einen überdachten festen Suk mit traditionellen Klamotten, Stoffen, Teppichen, Kitsch und mehr. Schon um 19:30 Uhr sind wir wieder im Hotel, Michael nimmt noch Aspirin und pennt wenig später.

Martin und Steffi wollten uns ja eigentlich wecken, aber ich bin schon deutlich früher wach. 11 Stunden Schlaf sind ja nun wirklich mehr als genug. Allerdings war es unruhiger Schlaf, denn Michael schnarcht (ganz ungewohnt und ein Zeichen für Erkältung), außerdem ist die Matratze stark gewöhnungsbedürftig, mit einem Härtegrad nahe einer Isomatte. Ich ziehe mich an – bin noch sauber vom Hamam – und steige mit der Kamera auf’s Dach. 

Der Suk, den wir heute besuchen, ist wahrlich der Größte dieser Reise und so gar nicht auf Touristen ausgerichtet. Entsprechend neugierig und auch leicht misstrauisch werden wir immer wieder beäugt. Wir treffen auch den ganzen Vormittag nur noch einmal auf touristische Gäste, radfahrende Holländer, die im gleichen Hotel wie wir übernachtet haben. Auf diesem Suk wird all das verkauft, was die Menschen hier so brauchen und sich leisten können. Gleich am Anfang sehen wir am Rande kleine Garküchen und kaufen uns dort einige harte Eier als Frühstückersatz. Neben Obst und Gemüse gibt es alles für Küche und Haushalt, Feld- und Gartenarbeit, für Hausbau und gebrauchte Ersatzteile für Motoren aller Art. An einem Stand entdecke ich Bindfaden, suche mir etwas heraus und gestikuliere die gewünschte Länge. Als ich in die Hosentasche greife, um zu bezahlen, winkt der Verkäufer ab. Ich freue mich, nun haben wir für unsere blauen Plastiksäcke auch die notwendigen Schüre. „Schakran!“

Neben neuer Kleidung und Schuhen gibt es auch viele Stände mit gebrauchten Kleidern, mit Schuhbergen, aus denen mensch sich mühsam die passenden Schuhe heraussucht. Für Ute erstehen wir ein paar rote Schlappen, ihre zu Hause sind gerade kaputt gegangen und für Tabea findet sich noch so ganz nebenbei einen quietschgrünen Satin für ihre Schneiderinnenleidenschaft. In der „Fleischabteilung“ wird mir mal wieder ganz anders, die liegen gelassenen Tierköpfe sind ein gruseliger Anblick, der über allem schwebende Geruch tut sein übriges. Andererseits ist es wohl für uns verwöhnte Europäer mal ganz gut, so deutlich mit der Nase darauf gestoßen zu werden, dass Fleisch halt nicht beim Fleischer wächst und auch nicht nur aus der Tiefkühle kommt. Im Gegensatz zu Midelt – wo die Hühner bei lebendigem Leibe in einer Maschine gerupft werden – wird hier noch Handarbeit geleistet. Schon von fern sehe ich, was dort vor sich geht und möchte einen großen Bogen darum machen. Doch Michael ist interessiert, bleibt stehen und schaut zu. Einer der Schlachter winkt ihn näher, erklärt und zeigt seine Arbeitsschritte. Die Hühner werden gepackt, ihnen wird die Kehle durchschnitten, dann bluten sie aus und werden anschließend gerupft. Unterhalb des Arbeitstisches liegt ein Berg abgeschnittener Hühnerkrallen, der eifrig von Hunden frequentiert wird. Ich bleibe auf Abstand, das ist nicht mein Ding, ein Blick von weitem reicht mir da völlig.

Ziemlich in der Mitte des Suk haben sich drei große LKWs nebeneinander aufgebaut, alle hochgestapelt voll mit Bündeln von Zwiebeln. Hier herrscht – im Gegensatz zum übrigen Geschehen – großes Geschrei. Ich schieße aus der Hüfte ein Foto. Einer der Zwiebelverkäufer gestikuliert, dass er fotografiert werden möchte, ich mache ein „öffentliches“ Foto, da hält er die Hand hin und möchte Bakschisch, na, so nun aber nicht mit mir! Einiges von unserem Kleingeld geht aber auch hier – wie schon vorher vor allem bei den Caskaden – in die Hand von BettlerInnen über. Im Gegensatz zu Deutschland hat Marokko kein Sozialsystem und diese Menschen haben diese kleinen Gesten dringend nötig.

Während wir über den Suk bummeln, fängt es wieder an zu regnen (insgesamt werden wir auf sechs Regentage zurückblicken). Wir umlaufen Pfützen und Matschlöcher, doch dem Treiben auf dem Suk macht der Regen keinen Einhalt. Wir hingegen flüchten in ein kleines Cafe am Straßenrand, wo wir auch Astrid und Karin treffen. Michael wäre wohl auch gern in eine der Garküchen am Rande des Suk gegangen, aber ich traue mich nicht. Bisher haben wir die Reise ohne größere Darmprobleme überstanden, das soll so bleiben. Die vorhin dort gekauften Eier hatten ihre natürliche Verpackung dabei, das wird schon ok sein. Was ich auf dieser Reise an Eiern verdrückt habe, mag ich gar nicht so genau ausrechnen. Aber da ich dem Cholesteringeschwafel der Margarineindustrie eh keinen Glauben schenke, mache ich mir darüber auch keine weiteren Gedanken.
Wir setzen unseren Rundgang über den Suk fort, kommen in einen Bereich, in dem Waren verkauft werden, die bei uns zu Hause wohl nur noch auf dem Sperrmüll landen. Auch hier wird fleißig geschaut, gehandelt und verkauft. Gleich nebenan verkauft jemand neue Türen und Fenstereinsätze aus Metall. Wir kommen an einem Kichererbsenverkäufer vorbei, der vor einem großen dampfenden Topf steht, schauen neugierig in den Karton des Schneckenverkäufers – Schneckensuppe ist eine Spezialität der marokkanischen mobilen Garküchen. Wir streifen an Gewürzständen vorbei, die ihre Ware in offenen Säcken präsentieren. Letztlich entscheide ich mich, doch keine Gewürze zu kaufen, werde also jetzt nie erfahren, wie frisch und aromatisch sie wohl gewesen wären. Lange Reihen Gewürzkräuter hängen aus, der intensive Duft der frischen Minze – Nana - drängelt sich fast überall vor.

Martin ist glücklich, er hat hier in Demnate eine kleine Werkstatt gefunden, die ihm innerhalb von 3 Tagen seinen lang ersehnten Dachgepäckträger zusammenschweißt. Wenn er uns in Marrakesch „losgeworden“ ist, werden die beiden hierher zurückfahren und den Dachgepäckträger abholen. Nachtrag: Martin hat an seine erste Mail an uns nach der Reise ein Foto angehängt: der blaue Bus mit Dachgepäckträger.

Als wir in Richtung Hotel in die Straße einbiegen, sehen wir eine kleine Demo mit ca. 200 Menschen vor uns. Martin kommt mit dem Bus nicht weiter, Michael und ich springen raus und nähern uns vorsichtig dem Demozug – ahnungslos worum es hier wohl geht. Im Laufe des Tages „beschließen“ wir, das war eine 1. Mai-Demo zum internationalen Arbeiterkampftag. Ob wir wohl recht hatten? Im Hotel angekommen, laufe ich schnell aufs Dach um noch ein Foto zu schießen, aber leider versperren mir einige Hütten der hiesigen Gemüseverkäufer die Sicht.

Heute geht es nach Marrakesch. Auf der Fahrt dorthin – 65 km in ca. 1.5 Stunden – verändert sich die Landschaft wieder. Die mageren Getreidefelder machen Obst- und Olivenbaumanpflanzungen Platz, wir sehen Kartoffel- und Gemüsefelder. Die Stadt kündigt sich schon weit im Vorfeld mit großen Roh- und Neubaugebieten an. Viele gleichförmige Häuserreihen versprechen auf großen bunten Reklametafeln „exclusives Wohnen“. Wir durchfahren Marrakesch auf der Suche nach dem Flughafen und einem Hotel in Flughafennähe. Martin möchte die Zentrumsnähe meiden, im Angesicht des Attentats auf dem zentralen Place Jemaa el Fua ein verständlicher Wunsch. Bei dieser Durchfahrt vergleichen wir die beiden Städte Fes und Marrakesch und kommen zu der Überzeugung, dass sie nicht vergleichbar sind. Marrakesch, reich und vergleichsweise modern und trotz Attentat schon wieder sehr touristisch, kommt für uns nicht an das traditionelle, fast mittelalterliche Fes heran. Wie gut, dass wir unsere Reise in Fes begonnen haben. Das war ein guter Einstieg in diese Reise.
Lange suchen wir in den Außenbezirken nach einem Hotel – vergebens. Auch als Martin und Steffi fragen, werden wir immer wieder ins Zentrum von Marrakesch verwiesen. Ich bemerke, dass Martin immer gereizter wird. Das kann ich gut verstehen, mit 6 Reisegästen im Genick ist diese Suche bestimmt keine Reiseleiterfreude. Lange Sucherei, kurzer Sinn: In den Außenbezirken gibt es keine Hotels, fertig!

Also macht Martin kehrt, fährt wieder Richtung Zentrum zurück. Das erste Hotel, das in Frage kommt hat nur noch 4 Betten frei, also weitersuchen. In einer Nebengasse haben Martin und Steffi Erfolg. 3 Dreibettzimmer mit Dusche sind frei. Wir entern das Hotel de Minaret, teilen uns diesmal das Zimmer mit Karin und brechen wenig später „solo“ ins Zentrum auf, das fußläufig in 5 Minuten zu erreichen ist. Also doch mittendrin! Angst kommt bei mir aber nicht auf, die Wahrscheinlichkeit, dass hier und jetzt noch mal was passiert, ist so gering, dass wir sie getrost verdrängen können. Michael und ich marschieren los, probieren aber vorsichtshalber nach drei kleinen Gassen noch mal den Rückweg, damit nichts schiefgeht. Der Stadtplan, den wir aus dem Hotel mitgenommen haben, ist sehr ungenau und wir haben nur eine ungefähre Ahnung, wo sich das Hotel auf dem Plan befindet. Dann geht es Richtung Place Jemaa del Fna durch eine sehr belebte Fußgängerzone, europäischen Standards. Da wir morgens nur 1 Ei und einen Apfel gefrühstückt hatten, wollen wir erst mal was essen. Überall, wo wir stehen bleiben, werden wir von „Checkern“ angesprochen, etwas, das ich so gar nicht leiden kann. Trotzdem nehmen wir so ziemlich den erstbesten, ich habe Hunger und Michael sowieso keine Lust zum Pflastertreten. Eigentlich wäre er viel lieber im Hotel geblieben und hätte an der Rezeption Fußball geguckt. Es gibt – mal wieder – Omlette fromage mit ? (was sich als nicht sehr leckere Wurst herausstellt) und Michael versucht sich an einem mex. Salat, mit wenig Salat, aber viel Käse (mhhh, Gouda, kein Kirikiri), viel Reis und Thunfisch. Warum der als mexikanisch bezeichnet wurde wird uns ewig ein Geheimnis bleiben. Preismäßig war’s ok: Omlette 17 DH, Salat 20 DH.

Nachdem ich MB zum Aufbruch „überredet“ habe, wandern wir die Einkaufsstraße Richtung Zentrum, landen am Place Jemaa el Fna und unser Blick wird sofort auf das zerbombte Cafe gelenkt. Augenscheinlich ist die Bombe im 1. Stock explodiert. Ich zögere, ob ich fotografiere, tue es dann aber doch. Dieses Foto gehört – wie dieses Erlebnis – eben auch zu unserer Reise und es hat sie ja zum Ende hin auch stark beeinflusst. 
Auf dem Place tobt schon wieder das Leben wie wohl eh und je. Um marokkanische Geschichtenerzähler stehen Trauben von durchweg männlichen Zuhörern, Schlangenbeschwörer versuchen Touris auszunehmen, wollen mir oder MB eine Schlange umlegen, aber wir wehren uns lange erfolgreich. Erst später auf dem Rückweg werde ich schwach, fotografiere offen die Schlangen, dann eher unwillig MB mit Schlange und Schlangenbeschwörer am Hals. Ich gebe mein Geld und werde beschimpft – es sei zu wenig! Macht nix, ich bleibe dabei, ein bisschen Nepp mag ja ganz gut sein, aber die Preise bestimme in solchen Situationen ich – und auf unhöflich reagiere auch ich unhöflich. Alles ist uns hier sowieso zu laut und zu aufdringlich. Wir spazieren über den Platz, vorbei an der abgesperrten Unfallstelle, vorbei an aufgestellten Kerzen und Blumen für die Opfer des Attentats.

Kurz darauf geht es in den festen Suk, gewölbeähnlich aufgebaut, aber eigentlich doch nach oben offen und nur mit Latten und Plastik abgedeckt. Insbesondere der vordere Teil ist ausschließlich für Touristen mit dem üblichen Touri-Schnick und Schnack: Schmuck, Schals, Lederwaren, Kitsch und Tand. Vieles von dem haben wir vor allem schon mal an den Wasserfällen gesehen, aber nicht in dieser Fülle und nicht zu diesen Preisen. Wir gehen tiefer in den Suk und werden mit „Safran, Madame“ gelockt. Ich muss wirklich lachen, die halten die Touristen für so blöd, sie wollen mir den gelben Kurkuma als Safran verkaufen! In einer kleinen Ecke finden wir einen ursprünglichen Suk mit gebrauchten Klamotten von Marroks für Marroks. Auf einem kleinen offenen Platz setzen wir uns vor ein kleines Cafe und Michael kann sich vom Pflastertreten ausruhen. Nach dem Kaffee geht es langsam zurück, eigentlich schade, ich wäre noch gern tiefer eingetaucht. Auch hier gibt es Gerberviertel und Handwerker. Aber wir hätten suchen müssen und Michael zeigt sich wenig motiviert. Also wieder zurück zum Place, dort suchen und finden wir die Post, um eine Briefmarke zu kaufen, doch leider schon geschlossen. So wird wohl die einzige Postkarte, die wir verschicken wollten, eine deutsche Briefmarke zieren. (Nachtrag Juni: Sie ist immer noch in meinem Rucksack ;-) Ich möchte noch auf der anderen Seite des Place schauen, was es dort so gibt, kann MB aber nur noch mit Cafe und Sitzen ködern. Wir suchen ein Cafe, sitzen auf der Terrasse und bestaunen die Hektik und das Treiben vor uns.

Abends sind wir wieder mit der Gruppe verabredet. Martin und Steffi haben ein gemeinsames Abschlussessen vorgeschlagen – eine gute Idee. Zusammen gehen wir in ein Restaurant über dem Riad-Hotel, das den Beiden empfohlen wurde. Die Speisekarte ist deutlich reichhaltiger als gewohnt  und leider auch deutlich teurer. Es werden mehr als 10 verschiedene Tagines und Broschettes angeboten. Michael findet seine Lieblingstagine mit Backpflaumen wieder, stellt aber später fest, dass seine erste Tagine in Fes im La Kashba auch die beste der Reise gewesen ist. Insgesamt ist das Essen ok, aber 100 DH pro Tagine sind unseres Erachtens nicht gerechtfertigt. Hartmut und Christian haben sich beim Essen zurückgehalten, sie wollen noch mal auf den Place Jemaa el Fna zurück, um die dortigen Garküchen auszuprobieren. Ich bin da nach wie vor zögerlich, Schneckensuppe und ähnliches, aus der abendlich aufgebauten Garküche ohne fließend Wasser, ne-ne, lieber nicht. Nach dem Essen bummeln wir noch mal über die Fußgängerzone und den Place, der seine Berühmtheit nicht zuletzt dem Treiben am Abend zu verdanken hat. Im Dunkeln leuchten Garküchen und Verkaufsstände. Als ich dort einen langen Hals Richtung aufgebaute Garküchen mache, bleibt mir nichts anderes als mein Vorurteil zu revidieren, hier sieht alles recht hygienisch aus. Die Menschentrauben um Gaukler und Geschichtenerzähler sind noch gewachsen und auf dem Dach eines Restaurants sehen wir einen Feuerspucker, der mit seinem leuchtenden Atem die Nacht erhellt. Auf dem Platz sitzen, recht eng nebeneinander, begnadete und nicht so begnadete Musikanten; hennamalende Frauen; eine Wahrsagerin, die einem Marokkaner gerade die Tarottkarten legt.  In mir klingt noch die Einsamkeit der Berge und der Wüste und so tobt mir hier das Leben einfach zu laut.

Wir sitzen im Flieger. Heute Morgen war Wecken um 5 Uhr. Kalte Dusche, kein Kaffee. Martin findet mit einer kleinen Schleife schnell den Flughafen und unsere Reise nähert sich ihrem Ende. Michael und ich kämpfen mit unseren blauen Säcken und stellen dann erleichtert fest: Das klappt! Rucksack, Isomatte und Schlafsack passen in die Tüte und die Frau am Schalter zuckt beim 3 kg Übergewicht meines Rucksacks nicht mal mit der Augenbraue. Wir trinken gemeinsam Kaffee, dann folgt Umarmen und Tschüss-Sagen zu Martin und Steffi. Sie haben jetzt noch ein paar Tage Zeit für sich, bevor der blaue Bus wieder nach Hause muss.
Der Flug verläuft bis auf einige kleine Turbulenzen ruhig und dann ist Abschiednehmen von der Gruppe angesagt. Tschüss Ihr alle, wir waren eine gute Marokkocrew!  

Es hat mehr als 30 Jahre gedauert, bis ich mir meinen Traum von der Sahara erfüllt habe und endlich „nach Afrika“ gekommen bin. Vielleicht war es ja auch gut, dass es erst so spät geklappt hat, mit den Jahren kann ich vieles ganz anders wahrnehmen und genießen. Hin und wieder bin ich an meine Grenzen gestoßen, sei es beim Wandern, beim Essen oder bei der Fahrt an steilen Abhängen entlang – es war immer gut für mich. Ich habe Bergformationen gesehen, die ich mir nie hätte träumen lassen. Fand die Dünen in der Sahara vor, wie von der GEO fotografiert. Ich habe Menschen kennengelernt, die mich in ihrer Anmut und natürlichen Fröhlichkeit stark beeindruckt haben, obwohl sie doch in so kargen Verhältnissen leben.

Es ist kurz auf den Punkt gebracht: Ich bereue keine Sekunde dieser Reise. Mein Dank an unser Reiseleitungsteam Martin und Steffi: Ihr wart Klasse, habt (fast) nie die Geduld mit uns verloren, ihr habt genau die richtige Mischung zwischen Professionalität und Spontanität, die diese Art der Reise braucht – bleibt bitte so! Nur das „Regenabschalten“ solltet ihr wirklich noch ein bisschen üben.

Nachtrag: Allen, die diesen Bericht bis hierher gelesen haben und vielleicht Lust bekommen, es auch einmal zu versuchen, hätte ich "amacatravel"  gern empfohlen. Wer unkonventionell reisen will, sich Zeit nimmt und auf das Fremde einlassen kann, war bei Martin und Steffi genau richtig. Leider haben gesetzliche Bestimmungen einige Zeit später dazu geführt, dass sie ihre kleine Firma geschlossen haben. Schade, ich wäre gern noch mal mit ihnen unterwegs gewesen.