Der Tag beginnt mit Aufräumen, Zelt abwischen, Wäsche aufhängen und ähnlich unangenehmen Beschäftigungen. Frühstück gibt’s nebenbei. Michael und ich werden gerade noch so frühzeitig fertig, dass es noch für einen Cafe noir am Pool reicht. Der Himmel ist bedeckt und es läd nicht zum Bade – schade!

Heute wollen wir endlich in die Sandwüste, ein Trip, der von vielen – auch von mir – schon ungeduldig erwartet wird. Gegen 11:00 Uhr brechen wir auf, es ist nicht heiß, die Wolken werden langsam heller. Eine Zeitlang fahren wir die fast komfortabel anmutende N 13, die sich durch einen weißen Mittelstreifen auszeichnet. In Erfoud „erzwingen“ die Männer eine Bankpause, alle sind pleite und möchten noch mal einen Bancomaten suchen, finden und plündern. Auch Karin ist es ein Bedürfnis, bisher hat sich ihr jeder Automat widersetzt.

Eigentlich wollte Martin nach Rissani durchfahren, hält dann aber doch an, und warnt noch mal: Hier sei das Klima rau, die Menschen nicht freundlich. Wir haben keine Zeit das auszuprobieren, entern nur schnell den Automaten, für alle – bis auf Karin – erfolgreich. Die Arme, sie hat inzwischen herausbekommen, dass es ein technisches Problem zwischen den belgischen und marokkanischen Banken gibt. Wir lästern - kein Wunder, bei einem Land, das schon so lange keine Regierung hat - helfen ihr aber bereitwillig aus. Schnell sind alle wieder im Bus und weiter geht die Fahrt, nun wirklich nach Rissani. Hier legen wir eine Mittagspause ein, bummeln kurz durch einen festen Suk, auch hier gibt es Sandalen mit Autoreifensohlen zu kaufen. Anschließend sitzen wir vor einem Restaurant im Schatten am Rande einer lebhaft befahrenen und begangenen Straße: Autos, Esel, Menschen, Karren alles fröhlich durcheinander, ohne Stress und Geschrei. Es gibt Pizza Bebera, Omlette Berbera und Karin versucht sich an Spagetti. Und wenn mir jemand vorher erzählt hätte, dass ich am Rande der Sahara sitze und fröstele, ich hätte es nicht geglaubt.

Nach diesem letzten Stopp vor unserem Wüstentrip fahren wir jetzt Richtung Merzouga. Wir wollen allerdings nicht ganz bis Merzouga, dort fallen neuerdings Heerscharen von Touris ein, die mit ihren Bikes, Krads und was auch immer durch die Wüste knattern. Von weitem sehen wir nun endlich die hohen, rot-orange leuchtenden Sanddünen des Erg Chebbi. Schon weit vor Merzouga biegt Martin von der Straße für die letzten 9 Kilometer auf eine Sandpiste ab. Ab jetzt wird gerattert und gerappelt, das Wellblechprofil der Piste zwingt Martin zum Langsamfahren. Am Rande der Sanddünen liegt ein kleines Hotel. Dort fragt Martin, ob er den Bus stehen lassen kann. Er kommt mit der frohen Botschaft wieder, dass wir morgen Vormittag hier warm duschen und frühstücken könnten. Wir sind schwer begeistert.

Auf einer Plane vor dem Bus sortieren wir unsere Sachen und packen nur das wirklich Notwendige in den Rucksack. Neben den Übernachtungsutensilien (Zelt, Isomatte, Schafsack) packen wir noch Wasser und eine Apfelsine ein, das muss reichen. Ab hier wird gelaufen, wir wollen auf den höchsten Dünengipfel, der von hier aus zu sehen ist. Martin schätzt, dass wir so ungefähr 1 ¼ bis 1 ½ Stunden unterwegs sein würden. Ich hoffe, er hat seine Zeiteinschätzungen inzwischen meinem Tempo angepasst - er hatte. Martin, der Tapfere, packt noch Sachen für’s Abendessen und Frühstück ein. Danach gibt es in dem kleinen Hotel hinten auf der Terrasse noch einen Kaffee und gegen 17:00 Uhr ziehen wir los.

Seit wir in Marokko sind, hält Michael nach Skorpionen und Schlangen Ausschau und nun hofft (oder bangt?) er, dass die Wüste ihm welche zeige. Doch der Berber aus dem Hotel nimmt ihm alle Illusion, dort gäbe es nur Käfer und Mäuse. In enger Gruppenformation geht es los. Sonst laufen wir immer viel weiter auseinander, aber jetzt hat wohl jedeR etwas Respekt vor dieser Wanderung. Anfangs geht es ohne Steigung vorwärts, der Sand ist hart und trittfest, die Temperatur moderate 25°. Und schon treffen wir auch die angekündigten Käfer. Sie sind zuständig für die Entfernung des Kamelmistes, den sie in kleinen Kugeln vor sich her schieben. Wir sehen auch wieder kleine geschlängelte Spuren, sollte es sich doch um Michael Schlangen handeln? Aber sie gehören den Apotheker-Skind, einem Sandfisch, dessen getrocknetes und pulverisiertes Fleisch als Aphrodisiakum gilt.

Immer tiefer geht es in die Sanddünen, von denen die höchste ca. 250 Meter hoch ist. Wir umgehen einige Dünen und suchen nach dem einfachsten Weg. Hartmut sondert sich ab und geht eigene Wege – aber immer in Sichtweite. Immer öfter gibt es auch beschwerlichere Stellen, mit tiefem Sand, der immer dann gemeiner Weise besonders tief wird, wenn es auch steiler wird. Ich komme arg ins Schnaufen, bin mal wieder die Langsamste, aber was soll’s – ich genieße die einzigartige Landschaft. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke zeigt Steffi nach oben, dort oben in der Mulde nahe den beiden höchsten Dünen wollen wir campen. Doch das war mal wieder ein fieser Trick. Nach dieser Mulde geht es noch mal so richtig hoch, jetzt kommen auch andere ins Schnaufen, die Gruppe geht schon lange nicht mehr eng beieinander, sondern hat sich – fitnessbedingt – auseinandergezogen. Michael bietet sich an den „Besenwagen“ zu machen. Wir sind noch auf der Hälfte der letzten kräftigen Steigung, da kommt uns Steffi schon fröhlich hüpfend ohne Gepäck entgegen und bietet mir Hilfe an. Doch dieses Stückchen will ich es nun auch noch allein schaffen und das klappt auch. Hinter mir kommen dann auch Karin und Michael an’s Ziel. In der Mulde zwischen den beiden höchsten Dünen bauen wir nun in einer Reihe die Zelte auf. Da es windstill ist, geben wir uns beim Aufbau nicht wirklich große Mühe, wir wollen schnell fertig werden.

Nachdem Michael und ich fertig sind, gehen wir an den Rand der Mulde und schauen in die Weiten der Sahara, mit Blick auf den Rand der Sanddünen, dahinter Steinwüste ohne Ende. Wir sehen unseren Startpunkt, das Hotel mit der blauen Tür in Richtung Wüste. Auch von den anderen hat sich jedeR eine Stelle gesucht und genießt den Moment. Lange hält es uns aber nicht am Rand der Mulde. Ich will höher hinaus, auf den schmalen Grad an unserer Seite. Michael geht vor, immer 20 Schritte steil bergauf, dann Pause. Aber wir schaffen es und sitzen bald hoch über den anderen auf dem Grad der Düne. Die Welt liegt uns zu Füßen, ein unbeschreibliches Gefühl. Wir genießen diese Momente der Ruhe, kaum ein Laut ist hier zu hören. Schon als ich 20 Jahre alt war, hatte ich den Wunsch die Sahara zu sehen und nun, nach so vielen Jahren, ist aus diesem Wunsch Wirklichkeit geworden … und zwar genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.

Erst nach einer ganzen Weile kommen die anderen  zu uns hoch und vorbei ist es mit unserer Zweisamkeit und Nachdenklichkeit. Wir gehen gemeinsam weiter, noch ein Stückchen höher den Grad entlang, bis wir wirklich ganz oben angelangt sind. Von hier aus können wir das Dünengebiet nach allen Seiten überschauen, es ist gar nicht so groß, wie es uns die Fotos in den Magazinen immer glauben lassen, vielleicht insgesamt 25 km2. Weit entfernt von uns zieht eine Karawane durch die Wüste – Touristen, die wie wir den Sonnenuntergang sehen wollen. In einer spärlich bewachsenen Mulde stehen zwei Kamele, haben anscheinend frei oder sind ausgerissen, kein Mensch in ihrer Nähe. Nach einer Weile sehen wir, wie die Düne neben uns von Menschen bestiegen wird. Es sind zwei Kids, die mit Surfbrettern immer wieder versuchen abzufahren. Erst jetzt wird mir klar, warum bei Moulut im Trödelladen auch Skier zu finden waren.

Wir sitzen lange auf dem schmalen Grad, Christian albert im Sand herum. Einige Wolken schieben sich an den Horizont, die Schatten werden immer länger, die Kanten schärfer. Der Sand verändert minütlich seine Farbe, ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene Ockertöne gibt. Michael versucht den Sonnenuntergang auf seiner Kamera festzuhalten und fotografiert alle Minute. Diese Fotoreihe wird sich als der Niedergang seiner Kamera erweisen, etwas Sand gerät ins Objektivgetriebe – vorbei! Erst als die Sonne am Horizont verschwindet und es doch sehr kühl wird, verlassen wir unseren Sitz auf dem Grad. Michael versucht die Düne auf dem Po herabzurodeln, ich laufe mit großen Schritten talabwärts, im tiefen Sand fühlt es sich an, als sei ein Teil der Schwerkraft aufgehoben – ein Moonwalk.

Schnell wird es nun dunkel, Michael und ich nehmen die Schlafsäcke und kuscheln uns an den Rand der Senke zum Sternegucken. Wir suchen die gewohnten Sternbilder, finden den großen Wagen auf dem Kopf wieder und verlieren uns in der Fülle der funkelnden Sterne. Ein leichter Wind kommt auf, es wird kälter und wir klettern in unser Zelt. Kleine Böen ruckeln an den Planen und obwohl es nicht wirklich laut ist, kann ich nicht schlafen. Zu viele Bilder tummeln sich in meinem Kopf.  Gerade als ich endlich eindöse, frischt der Wind auf, kräftige Böen rütteln nun am Zelt und wir hören den Sand rieseln. Es wird eine unruhige Nacht. Böen wechseln sich mit Stille ab.

Während einer kräftigen Böe hören wir Astrid rufen: „Martin!“ Wir ziehen schnell Hose und Stiefel an und klettern aus dem Zelt. Dort steht Astrid in Hemd und Slip und hält Hartmuts Zelt in der Hand. Da die beiden Zeltbewohner Hartmut und Christian noch in den Dünen liegen, hat sich das unbeschwerte Zelt losgerissen und wollte wohl schon mal zu Tal fliegen. Derweil ist auch Steffi aufgetaucht und gemeinsam versuchen wir, das Zelt zu bändigen, was gar nicht so einfach bei diesem Wind ist. Durch den Lärm, den wir dabei veranstalten, sind nun auch Hartmut, Christian und Karin aufgewacht und kommen uns helfen. Schade, dass das keineR gefilmt hat, die Mädels leicht bekleidet beim nächtlichen Tanz ums Zelt. Wir müssen viel lachen, aber auch viel bibbern, es ist reichlich frisch hier draußen. Wir befestigen alle Zelte noch mal, dann kehrt wieder Ruhe ein – allerdings nur bei den Menschen. Der Wind bleibt noch lange frisch und böig, erst in den frühen Morgenstunden kann ich ein Stündchen schlafen. Unerklärt bleibt vorerst auch ein regelmäßiges Geräusch, das die Stille der Wüste stört. Ich tippe irgendwann mal auf einen Generator, weit hinten in den Dünen hatten wir ein Berberzelt für Touristen gesehen.