Für den frühen Morgen hatte uns Steffi schon den Muezzin angekündigt und ich werde früh um fünf von seinem Gebet geweckt. Er hat eine sehr melodische „seelenvolle“ Stimme im Gegensatz zu allen anderen Muezzins, die wir noch so hören werden. Um 7 Uhr ist Wecken angesagt, es gibt ein kleines Gedrängel vor der einzigen Dusche des Hauses. Zum Frühstück gibt es süßen Tee, Weißbrot, Butter, Margarine, die wie Frischkäse aussieht, Marmelade und gerollte Pfannkuchen. Um 9 Uhr sind wir mit Najib, einem Freund von Martin, verabredet. Er zeigt uns die Medina von Fes.

Die Altstadt von Fes wurde 1976 zum UNESCO-Kulturdenkmal erhoben. So ist Geld zum Erhalt und der Renovierung vorhanden, was an vielen Stellen sichtbar wird. Das Bab Boujeloud – das Westtor – ist gerade frisch renoviert worden und ist mit einem aufwändigen blau gehaltenen Mosaik geschmückt. Auch wenn uns die Medina von Fes wie ein Museum aus dem Mittelalter erscheint, leben und arbeiten hier mehr als eine viertel Million Menschen. Najib führt uns in die labyrinthischen Gassen, das Gedränge von Menschen, Karren und Eseln in der autofreien Altstadt ist dicht.  Schnell haben wir den Überblick über den Rückweg verloren. Hier lernen wir ein wichtiges Wort: „Balek!“ Die Karrenschieber und Eselführer rufen es und mensch muss sich schnell in Sicherheit bringen, sonst wird gerempelt. Wir verstehen „Balack“, wie der deutsche Fußballspieler und können uns das Wort gut merken. Wir bleiben an Garküchen stehen und linsen in die Töpfe, probieren Harira (Bohnensuppe) und eine Linsensuppe mit Olivenöl, die traditionell zum Frühstück gegessen wird.

Najib führt uns zu einer der wenigen Koranhochschulen, die für uns Nichtmuslime als Museum zugängig ist. Sie ist aus dem Jahr 1280 und beherbergte in winzigen Kammern mit Hochbetten die Studenten. Auf dem Innenhof und in einem Seitenteil saßen die Studenten jeweils in kleinen Gruppen um den Lehrer, Lehrpläne und Prüfungen gab es noch nicht. Wir kommen an vielen anderen Moscheen vorbei und können immer wieder einen kurzen Blick durch die weit geöffneten Tore werfen. Najib weist uns darauf hin, dass zu jeder Moschee auch ein Hamman (Bad), ein Brunnen und ein Bäcker gehören. 

Wir besuchen eine Weberei und ich kaufe für Tabea einen wunderschönen lila-grün- schimmernden Stoff. Alles wird dort noch mit der Hand gewebt, nicht nur grobe Stoffe, sondern auch feine Seiden oder Baumwoll-Seidengemische. Nachtrag: Als ich meiner Tochter den Stoff später überreiche ist sie schwer begeistert. Sie will sich daraus ein Kleid schneidern. Leider erweist sich das als unmöglich. Der handgewebte Stoff ist zu locker gewebt. Schade!

Besonders beeindruckt hat uns das Viertel der Gerber. Von der Galerie eines Lederwarengeschäfts können wir auf die arbeitenden Gerber herunterschauen. Schon am Eingang bekommen wir einen Stängel stark duftender Minze in die Hand gedrückt. Noch weiß ich nicht wofür, doch als wir auf der Galerie stehen, wird mir der Sinn schnell klar. Ein beißender Gestank liegt über dem Gerberplatz. Die Arbeiter balancieren in hochgewickelten Hosen auf den Bottichrändern der Kalkbecken und Gerbertöpfe. Sie arbeiten ohne Schutzhandschuhe, stehen oft bis hoch an die Oberschenkel in den Töpfen mit der Gerberlohe. Ein Angestellter des Lederwarengeschäfts will uns weis machen, es würden nur „natürliche“ Mittel verwandt, zum Gerben Taubenkot, zum Färben Mohn (rot), Safran (orange), Minze (grün) und Indigo (blau). Doch wir können das ziemlich schwer glauben und auch der Reiseführer in Schriftform lässt verlauten: „es wird meist mit Chemikalien gearbeitet“. Mein Zoom des Fotoapparates holt mir dann auch einen Sack mit Ammonix (Ammoniak) vor die Linse. Sonst allerdings ist nichts zu sehen, was auf die Beimischungen schließen ließe. Der Rückweg durch das Lederwarengeschäft zeigt ein großes Angebot von Lederwaren aller Art. Steffi liebäugelt mit einer Lederjacke – Startpreis 350 Euro – sie wechselt den Besitzer nach langen zähen Verhandlungen für 120 Euro und Steffi kann sich zusätzlich noch ein paar marokkanische Schlappen aussuchen. 

In einem kleinen Restaurant machen wir Pause. Der Inhaber, ein kleiner 70-jähriger, drahtiger Marokkaner macht seine Faxen mit uns, macht Handstand und zeigt auch ansonsten, wie fit er noch ist. Er erklärt uns, dass er früher Leistungssportler war. Seine Frau hinter der Theke ist höchstens 30 Jahre alt.  

Im Anschluss an die Pause landen wir in einem traditionellen Kleiderladen. Ruckzuck hat der Besitzer allen eine Schabala übergezogen, er zeigt dabei ein erstaunlich gutes Auge dafür, was wem am besten steht und wir stellen uns auf zum Gruppenfoto. Der blaue Turban, den sich Michael vormittags aus einem frisch gekauften Tuch gemacht hat, passt wunderbar zur blauen Schabala und er bekommt den Namen Blue Baba. Das sollte allerdings das letzte Mal sein, dass Michael so genannt wird. Den Rest der Reise wird er von allen MarokkanerInnen immer wieder Ali Baba genannt, egal, ob er seinen Turban auf hat oder nicht, muss wohl am hellen Bart liegen.

In einem Kräuterladen, den uns Najib als „Apotheke“ anpreist, bekommen wir Riechproben von allerlei Gewürzen und auch von schwarzem Kümmel, der die Nase frei macht und gegen Schnarchen helfen soll (wir wissen jetzt nach der ersten Nacht, wer die SchnacherInnen sind), Wir testen das Argan-Öl, aus der Kultur der Amazigh-Berber, die seit Jahrhunderten von und mit dem Arganbaum leben. Die Industrialisierung hätte dieser Kultur fast den Garaus gemacht, aber die marokkanische Regierung hat rettend eingegriffen und die UCFA (Union des Coopératives des femmes de l’Arganeraie) gegründet. In dieser Organisation sorgen mittlerweile etwa 22 Kooperativen mit über 1000 Frauen dafür, dass die Tradition des handgepressten Arganöls erhalten bleibt. Ob das Öl, was wir dort erhalten, aus dieser Organisation ist, finden wir nicht heraus. Der Besitzer des Ladens erwähnt diese Kooperative auch gar nicht, sondern macht seine Scherzchen damit, indem er uns erzählt, dass die Früchte der Arganbäume von den Ziegen gefressen werden, die dann die Kerne unverdaut wieder ausscheiden, diese dann gesammelt und zu Öl verarbeitet werden. (Meine Recherche im Anschluss an die Reise in Wikipedia bestätigt diese Arbeitsweise erwartungsgemäß nicht.). Ich erstehe dort  einen kleinen Block stark riechende Moschuss“seife“, gut als Deo und gegen Kleidermotten. Hier werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass mit Moschus viel geschummelt wird. Dazu wird ein Block von außen mit Moschus bestrichen und dann als reine Ware verkauft. Daher solle man sich den Block immer aufschneiden lassen, um diesem Trick auf die Spur zu kommen. 

Wir besichtigen eine winzige Backstube, die aus einem einzigen Raum besteht. In die Wand ist ein alter Ofen eingebaut. Jede Familie kann hier ihr selbstgemachtes Fladenbrot zum Backen abgeben. Der Bäcker, so erzählt Najib, sei so was wie die „gelben Seiten“ der Medina, er wisse genau, wer wo wohnt, weil er die Fladenbrote anschließend auch ausliefert.

Zum Abschluss führt uns Najib zum Ausstellungsraum seiner Familie. Sie betreiben seit einiger Zeit eine Teppichweberei und einen– handel. Michael verliebt sich auf den ersten Blick in einen handgewebten dünnen Schaf- und Kamelwollteppich, der in 3 Farben (weißes Schaf, schwarzes Schaf und Kamel) daherkommt. Als Preis nennt der Verkäufer 800 DH (ca. 70 Euro), da mögen wir nicht handeln, obwohl wir ihn bestimmt noch günstiger hätten bekommen können. Als Dreingabe gibt es noch einen schönen handgewebten Kissenbezug. 

Wir haben uns von 9 Uhr bis 16 Uhr in der Medina rumgetrieben, nun sind wir alle ziemlich platt. Es geht zurück ins Quartier, um 18 Uhr wollen wir uns in einem Cafe treffen, dort ist afrikanisches Trommeln angesagt. Hier lasse ich mir von einer Schwarzafrikanerin ein schönes Hennatatoo auf den Unterarm und die Hand malen. Ich pflege es den ganzen Abend, halte es schön feucht, aber es hätte die Nacht noch gebraucht, das wollte ich aber unserer Gastgeberin nicht zumuten: Henna in der frischen Bettwäsche. So ist am nächsten Morgen leider nur noch ein blasses Muster zu sehen.

Für die 2. Nacht war uns eigentlich noch ein 3. Zimmer versprochen worden – daraus wurde leider nichts. Erst war es frei und Karin und Astrid hatten ihr Gepäck schon dort hingestellt, doch als wir abends aus dem Cafe kamen, hatte es unser Gastgeber wieder rausgeräumt und das 3. Zimmer an weitere Gäste vermietet. Auch eine kleine lautstarke Diskussion konnte daran nichts mehr ändern.