Marokko 2011

Ich stehe früh auf, setze mich auf die Terrasse und habe endlich!! mal richtig Zeit für mein Reisetagebuch. Als ich aufschaue, sehe ich eine ganze Reihe Affen über die Felsen zum Wasser laufen. Sie klettern fast senkrecht den Felsen hoch, springen in hohen Sätzen über Felsbrocken, wedeln mit ihren Ärmchen durch’s Wasser und sind Lebensfreude pur. Nach ca. einer halben Stunde verschwinden sie in Richtung große Treppe. Ich vermute, sie wollen dort ihr Frühstück von den Touris abholen. 

Auch Michael taucht irgendwann mal auf. Er hat in Ruhe ausgeschlafen. Wir brechen in Richtung große Treppe auf, wollen das Frühstücken mit Akkuladen verbinden. Schnell findet sich ein kleines Restaurant, mit dem Blick auf die Fälle essen wir Omlette fromage – natürlich mit Kirikiri. Nach dem Frühstück steigen wir langsam auf, halten an den passenden Stellen und bewundern erst mal in aller Ruhe den Wasserfall. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke nach oben treffen wir die Affenbande wieder. Wie ich schon vermutet hatte, hier wird gefrühstückt. Da schon eine ganze Menge Touristen unterwegs sind, müssen sie auch nicht über Hunger klagen. Vorn, direkt an den Stufen sitzt der Clanchef und haut sich den Wanst voll, im Hintergrund einige Halbstarke und eine Affenmutter mit Baby im Fell, die bekommen, was Chefe runter fällt. Ob allerdings die mitgebrachten Pfannkuchen das artgerechte Futter für die Tiere sind, wage ich zu bezweifeln.

Am Ende der Treppe angekommen, gehen wir nah an den Rand der Cascaden und können frei von jedem Geländer in die Tiefe schauen. Das kribbelt im Bauch, es geht fast senkrecht hinunter. Wir wollen auf die andere Seite des Flusses, dort haben wir auch schon andere Leute gesehen. Nach einigen vergeblichen Versuchen merken wir, dass hier eine Brücke fehlt. Wir gehen landeinwärts, umrunden viele Parkplätze, nehmen in einer schrammeligen Bar noch einen Cafe Noir, verbunden mit einem Klogang, der in der freien Natur gewiss angenehmer gewesen wäre. Und wir finden die notwendige Brücke. Die vielen – jetzt freien - Parkplätze vermitteln uns eine Idee davon, was hier so los ist, wenn das Wetter besser ist – oder am Wochenende? Jedenfalls will jedeR MarokkanerIn einmal diese Wasserfälle besucht haben. Sehr verständlich in einem Land, das in weiten Teilen meist staubtrocken ist.

Wir wandern einen Pfad durch ein mageres Kornfeld und suchen den Rand der Schlucht. Am Ende des Kornfeldes sehen wir eine durch eine Holzschranke abgesperrte Wiese, von der sich Michael fast abschrecken lässt. Wir umrunden sie, überqueren eine stoppelige Wiese und haben den Felsrand gefunden. Dafür werden wir mit einer tollen Aussicht belohnt. Nun soll es flussabwärts gehen, wir finden nach einer Weile einen Eselpfad, der sich bald als der einzige markierte Wanderweg dieser Reise erweist. Es geht in vielen Windungen bergab, durch Olivenhaine mit Bewässerungsgräben, die gut gefüllt sind. Der Eselspfad ist nicht nur markiert, er ist auch der richtige Weg zurück in unser Camp. Dort verstauen wir unsere Jacken, die wir jetzt nicht mehr brauchen, es wird gemütlich warm, trinken einen leckeren frisch gepressten O-Saft und brechen dann wieder flussabwärts auf. Der Pfad führt uns an weiteren kleinen Restaurants und Cafes vorbei. Eines heißt „Afrika“. Wir beschließen morgen früh dort zu frühstücken.

Der Pfad wird schmaler und führt uns an eine sehr!!! provisorische Brücke. Wie versuchen unser Glück, mehr als nass werden kann hier nicht passieren. Es klappt und wir landen in Jamaika. Es handelt sich um ein kleines Cafe, das von einem Bob Marley-Fan geführt wird. Es dominieren Jamaikanische Farben und „peace and love“. Hinter Jamaika queren wir über eine ebenso schrammelige Brücke wieder den Fluss. Wir folgen dem Pfad, müssen uns irgendwann entscheiden: rauf oder runter. Wir nehmen „runter“ und landen auf einem Felsen über dem Fluss, mit Blick auf eine Badestelle. Hier versuchen sich einige Franzosen im Felsenspringen. Unser Standort liegt ca. 15 bis 20 Meter oberhalb des Flusses und der Älteste der Truppe traut sich tatsächlich auch, von diesem Felsen zu springen. Ich mag gar nicht hinschauen. Und es scheint auch nicht so gut gewesen zu sein, denn er bedeutet den anderen, dass sie das lieber lassen sollen. Männlich wichtig, wie die Herren der Schöpfung manchmal sind, müssen sie noch eine ganze Weile überlegen, ob sie diesem Ratschlag folgen. Doch letztlich siegt der Göttin sei Dank die Vernunft und sie trollen sich zu Fuß nach unten. Michael und ich schauen noch eine Weile zu und beschließen dann, dass diese Stelle auch für uns gut zum Baden ist. Sollte also das Wetter morgen schön sein, könnten wir nach dem Frühstück hier eintauchen.

Wir entscheiden uns, noch ein Weilchen den Fluss abwärts zu wandern, es ist noch genug Zeit. Wir nehmen also nun den oberen Weg, klettern über Felsen, bewundern die seltenen Blumen, die wir hin und wieder sehen, über uns ein weiter Felsvorsprung, der heute wohl Schafen und Ziegen als Stall dienen mag. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass unsere Vorfahren dort auch schon Schutz und Unterkunft gesucht haben. Eigentlich bekomme ich Lust dort hochzuklettern, doch der Nachmittag ist schon fortgeschritten und so verzichten wir darauf – vielleicht morgen? 
Irgendwann auf dieser schönen Wanderung meldet sich Michaels Handy, es ist Jörn, doch die Verbindung kommt nicht zustande. Ich schimpfe ein bisschen, Jörn weiß doch, dass wir in Urlaub sind. Wir gehen unseren Weg zurück, machen Pause bei Bob Marley, dort gibt es aber weder Jamaika-Rum noch andere Alkoholika, sondern nur die üblichen Kaltgetränke und Tee. Martin weiß abends allerdings zu erzählen, dass er dort gelernt habe, dass der beste Ouzo aus Israel stammt.

Zurück am Camp treffen wir einige unserer Gruppe in der „Höhle“, einem abgedeckten Felsvorsprung mit Matratzen an der Wand und einigen Tischen. Die Stimmung ist gedrückt, doch ich verstehe nicht so recht warum. 
Michaels Handy klingelt wieder. Diesmal ist es Ute, während er telefoniert, wird seine Miene ernst: „Ich sage Fee, dass sie gleich Tabea anrufen soll!“ Mir wird ganz anders im Bauch – was ist los? Als Michael meine Miene sieht, gibt er mir das Telefon und Ute erzählt mir, dass Tabea im Radio von dem Bombenattentat in Marrakesch gehört hat. Dieses Attentat bleibt – wie sollte es anders sein – Thema des Abends. Unser Gruppe geht unterschiedlich damit um, zwischen Witzchen reißen und dem Bedürfnis die Reisepläne zu ändern ist alles dabei. Ich bin sicher, unsere Reisepläne wird es gewiss ändern, hatten wir doch zum Abschluss noch 2 Tage in Marrakesch geplant. Ganz in der Nähe des Anschlagortes sollte unser Hotel sein.

Nach dem Essen sitzen wir noch in der „Höhle“ zusammen, Martin hat etwas von den Biervorräten rausgerückt und der Rest der Ginflasche wird geleert. Die Stimmung ist gedrückt, die Ansichten weiter unterschiedlich. Einige möchten die Reise „nach Plan“ weiterführen. „Marrakesch steht auf dem Programm, deshalb bin ich hier“, andere machen deutlich, dass Marrakesch wenige Tage nach dem Attentat gewiss nicht das Marrakesch ist, das wir besuchen wollten. Martin bestätigt diese Ansicht, er hat sich umgehört und berichtet, dass die meisten Touristen Marrakesch verlassen hätten und dass sehr viel Polizei aufgefahren worden wäre. Die Zahl der Toten variiert je nach Bericht zwischen 14 und 80. Egal wie viele es sind, es ist schrecklich.

6:15 Uhr ist Wecken angesagt. Martin schmeißt die Musik an und mit verklebten Gehirnwindungen helfe ich beim Abbauen und Einpacken und werde langsam wach. Erst nachdem das Zelt verstaut ist, bekomme ich meinen ersten Kaffee. Morgens macht sich die Gruppe immer über mich lustig, ich sei ein Morgenmuffel? Die sollten mich mal erleben, wenn ich muffele!!  Heute steht wieder „fahren“ auf dem Programm. Wir wollen den Hohen Atlas queren. Ein grandioses Bergmassiv löst das andere ab. Wir kommen aus dem Staunen und Schauen nicht mehr heraus.

Schade, dass wir Ute nicht dabei haben. Sie könnte uns mit ihren geologischen Kenntnissen über Steinzusammensetzungen und Herkunft bestimmt weiterhelfen, doch so sind wir auf Vermutungen angewiesen. Eins ist sicher: hier waren irre Kräfte am Werk. Beim Abstieg aus der Sahara hatte sich mein Ischias gemeldet, ich hatte gedacht, ich könnte ihn ignorieren. Doch in einer Pause mit wunderbarem Ausblick klemmt er so, dass ich die Hilfe von Michael brauche, um von meinem Standort wieder in den Bus zu kommen. Also schmeiße ich eine Ibu ein und hoffe auf Linderung, die aber mal wieder auf sich warten lässt.

Am späten Vormittag kommen wir in die Gegend, für die Steffi und Martin einen „Spaziergang“ etwas abseits der Straße in ein Seitental hinein geplant haben, um dort ein abgelegenes Dorf zu besuchen. Zwei Stunden sind dafür angesetzt. Ich warne schon mal vor, da ich nicht weiß, was mein Ischias dazu sagen wird – lieber einen Tag etwas sachte, als den Rest des Urlaubs Schmerzen. Und es ist auch kein Problem, da der Hin- und Rückweg derselbe ist. Langsam trotte ich hinterher. Michael, der bei mir bleibt, muss sich nicht langweilen, hier – wie fast überall auf dieser Reise – gibt es ohne Ende Fossilien zu entdecken. Ich bin sehr neugierig, wie hoch der steinige Anteil unseres Gepäcks am Ende der Reise sein wird. Unten am Fluss kniet eine Frau, das hölzerne Waschbrett vor sich und bearbeitet ihre Wäsche. Wir wandern in das enge Tal, das Wetter zeigt sich von seiner guten Seite, die Sonne scheint. Langsam nähern wir uns dem Dorf. Rechts des Weges spielen drei Jungen am Rande eines Baches. Sie sind so in ihr Spiel mit einem Stöckchen vertieft, dass sie uns gar nicht wahrnehmen, obwohl hier doch Touris noch unter „Sensation“ verbucht werden und oft um Money oder Stilos angebettelt werden. Weiter geht es ins Tal hinein. Ein kleiner Junge, ca. 4 bis 5 Jahre alt, rennt hinter Michael her und hält die Hand ziemlich aufdringlich auf. Doch Kinder bekommen kein Geld von uns, obwohl Michaels weites Herz hier ganz schlecht „Nein“ sagen kann. Aber die Erfahrung darf sich nicht in den kleinen Köpfen festhaken, dass Schule vielleicht gar nicht nötig ist, um an Geld zu kommen.

Marokkos Kultur braucht kluge Kinder, die ihren Weg machen. Und wir wissen, Marokko ist auf dem richtigen Weg. Überall sehen wir neue Schulgebäude und die Regierung versucht mit einem weiten Schulbusangebot möglichst viele Kinder auch in die Schulen zu bringen. Trotzdem sind Schulwege von mehr als 2 Stunden zu Fuß noch völlig normal.

Michael und ich machen uns langsam an den Rückweg, ich will es sachte angehen lassen, denn heute Abend liegt auch noch ein Marsch mit Gepäck rund 600 Stufen hinab zum nächsten Camp an. Der kleine Junge bleibt hinter uns zurück, nimmt aber auch unsere Richtung. Etwas weiter vor uns hören wir eine laute aufgeregte Frauenstimme rufen, auf die der Junge reagiert. Er schlägt einen weiten Bogen um uns herum, hin zu seiner Mutter. Sie schimpft weiter lautstark mit ihm und verprügelt ihn kräftig mit einem frischen Stecken. Als wir näher kommen schickt sie ihn den Hang hinauf zu den Häusern, greift sich mit einem bösen Blick auf uns einen Stein, geht schnellen Schrittes vor uns her. Sie wirkt sehr angespannt, das ändert sich erst, als sie auf zwei andere Frauen trifft. Ich kann nur raten, vermute aber, sie hatte einfach eine höllische Angst, dass wir ihrem Sohn etwas tun, ihn mitnehmen oder was auch immer. Das ist ein Konflikt, der uns doch öfter auf dieser Reise begegnet. Unsere moderne Lebensweise trifft in Form von Landrovern und Crossfahrzeugen auf diese alte Tradition, in der die Menschen auf dem Stand des Mittelalters leben, allerdings hier und da begleitet von Satellitenschüssel auf den Dächern. Alte und neue Welt kommen sich nah und verursachen Ängste, die wir uns wohl so gar nicht ausmalen können. Also müssen wir uns rücksichtsvoll in dieser Welt bewegen, die Tabus erahnen und akzeptieren. Wir sind Gäste in dieser Welt und sollten uns so bewegen, dass nicht zu viel Achtung voreinander verloren geht.

Wir wandern den Weg weiter zurück – immer noch im Gespräch über die Mutter mit ihrem Sohn - da kommt uns auf unserm Schotterweg eine Gruppe Motorradfahrer (Spanier) entgegengedonnert. Sie sind so wenig aufmerksam, dass mich einer der Fahrer fast umgefahren hätte. Unter diesem Erlebnis bekommt die Reaktion der Mutter auch noch mal eine andere Bedeutung, wer weiß, welche Erfahrung sie schon mit solchen „Raudi“-Touristen gemacht hat. Bald verklingt das Dröhnen der Motorräder und es kehrt wieder Stille ein.

In dem Wäldchen auf der anderen Seite des Flusses entdecke ich eine Frau, die mit ihren Hühnern zum Fluss spazieren geht, ich zücke die Kamera, das werden Bilder für Tabea, meine Hühner-Fan-Tochter. An der Brücke sitzt immer noch die Frau mit ihrer Wäsche am Fluß, nun liegen ausgebreitet auf den Steinen drei sehr schöne bunte Teppiche in der Sonne zum Trocknen. Was für eine mühsame Arbeit. Auf der weiteren Fahrt sehen wir immer wieder Wäsche ausgelegt. Entweder ist heute traditioneller Waschtag oder die Wetterverhältnisse sind so, dass heute eben Wäschewaschen angesagt war.

Am Ende der Brücke gibt es ein kleines Cafe, einen Kiosk und eine Schlachterei mit aushängendem Fleisch. Diese Schlachtereien gibt es fast in jedem Dorf, am Haken hängen halbe Ziegen, Hammel und Hühner, hin und wieder auch mal ein Stück Rind. Fast immer hängt der nicht abgehäutete Kopf noch dran. Seit wir durch die Berge fahren, sind diese Fleischstücke mit weißem Tuch abgehängt, nur der Hoden hängt immer draußen. Mensch muss schließlich sehen, was es zu kaufen gibt. Wir setzen uns vor das kleine Cafe, bestellen Cafe Noir und warten darauf, dass die anderen zurückkommen. Ich genieße es, in Ruhe in der Sonne zu sitzen, endlich ist es mal wieder richtig warm. Aber was soll’s, das Reisewetter kann mensch sich nicht schnitzen. „Maken muschkin“ (macht nix) oder auch „inschallah“ (mit Gottes Hilfe) ist da die richtige Einstellung. Ich schreibe in Hast mein Reisetagebuch runter. Ich hänge immer noch fast einen ganzen Tag hinterher. Als die anderen zu uns kommen, fehlt Martin. Er ist an den drei bunten Teppichen hängen geblieben und feilscht wie ein alter Berber. Als er wieder kommt, macht er einen recht zufriedenen Eindruck, dass könnte geklappt haben.

Als wir los wollen, geht Michael zahlen und wird um 100 DH erleichtert, das erscheint nicht nur Martin zu viel. Er rechnet nach und wir kommen gemeinschaftlich auf max. 70 DH. Martin lässt daraufhin mit dem Cafebesitzer ein lebhaftes und engagiertes Gefeilsche laut werden. In einer Mischung aus arabisch, spanisch und englisch macht er klar, dass der Kaffee überall 5-6 DH kostet und nicht mehr. Der Wirt fühlt sich auf die Füße getreten und rückt die 100 DH wieder raus und 5 DH mehr zur „Gesichtswahrung“. Wir sammeln Kleingeld zusammen, bezahlen die 70 DH und lassen selbstverständlich auch die 5 DH auf dem Tisch liegen. Nebenbei wird Martin auch handelseinig über den Teppich und wir fahren mit dem Bus zur Trockenstelle um ihn zu holen. Der Teppich ist bezahlt, Martin will ihn einladen, da bekommt einer der „Händler“ einen Anruf vom „Patron“. Jener ist gegen den Handel und so muss Martin den Teppich da lassen. Ob diese Verweigerung in Zusammenhang mit dem Preiskampf beim Kaffee stand, wird auch zu den Dingen gehören, die wir nie erfahren werden. Im Bus unterhalten wir uns noch eine Weile über den Kaffeepreis. Es wäre für uns nicht dramatisch gewesen, die 100 DH (10 Euro) zu bezahlen, aber es ist nicht in Ordnung, wenn uns der Wirt als Touris „melken“ will. Mag sein, dass die motorenstarken Spanier und Franzosen hier schon die Preise verdorben haben.

Weiter geht die Fahrt durch den hohen Atlas über eine Asphaltpiste, die diesen Namen immer seltener verdient. Regen und Sturm haben die Felsen verwittern lassen und die Straße ist immer wieder verschüttet worden. Zwar sind die dicksten Brocken von der Straße geräumt, aber der Belag hat doch sehr gelitten. Auch auf dieser Strecke werden wir wieder - wie schon vorher einige Male - durch kleine "Straßenräuber" aufgehalten. Kleine Jungs stehen mit Schaufel und Spitzhacke an einer provisorisch geräumten Stelle und immer wenn ein Fahrzeug kommt, kommen sie ins Arbeiten und hoffen auf Bakschisch. In der Steinwüste ist uns die "weibliche" Form davon begegnet, kleine Mädchen rennen an den Straßenrand, um mit einer leeren Wasserflasche zu wedeln.  In allen Fällen beobachten wir im Hintergrund die wartenden Erwachsenen, die die Kids gewiss gleich um das erworbene Geld erleichtern. Eigentlich in beiden Fällen ein wenig lohnendes Geschäft: Die Marokaner kennen das schon und Touris kommen auf diesen Strecken sehr selten vorbei.

Insbesondere für Martin am Steuer wird die Fahrt nun sehr anstrengend. Ich sitze eine Weile vorn auf dem Beifahrersitz und gerade hier wird mir klar, wie schwierig die Piste zu fahren ist. Ich biete Martin an, ihn beim Fahren auch ablösen zu können, ich bin durch meine Zeit als Busfahrerin auch solche Pisten gefahren. Aber Martin nimmt das Angebot nicht an und wenn ich ehrlich bin, ich an seiner Stelle hätte es auch nicht getan. Da kann ja jede kommen und sagen, sie könnte das. Cool

Enge Kurven lassen – auch bei sehr geringem Verkehr – immer doch Gegenverkehr vermuten, der auf der teilweise einspurigen Fahrbahn zu gefährlichen Ausweichmanövern führen müsste. Wir haben Glück und nur Gegenverkehr an Stellen, an denen auch 2 Busse aneinander vorbei passen. Uns begegnen fast nur abenteuerliche beladene Busse unserer Größenordnung, mit sehr viel Gepäck auf dem Dach und darauf fast immer auch noch Fahrgäste. Martin erzählt, dass diese Fahrt über den Hohen Atlas auch für die Berber sehr teuer ist. Sie bezahlen oft für einen Dachplatz 12 DH oder mehr. Außerhalb dieser Route sind die Preise für die Mitnahme in den Mitfahrtaxis und Bussen deutlich niedriger. Außerdem begegnen uns einige wenige touristische RadfahrerInnen, davon ein älteres französisches Paar, die mindestens schon die 70 erreicht haben. Wir drücken unsere Hochachtung aus, diese Strecke mit dem Fahrrad dürfte schon Jüngeren reichlich zu schaffen machen.

Nach diversen Pässen, von denen der höchste 2.100 m hoch ist, verlassen wir langsam den Hohen Atlas und erreichen eine fruchtbare Ebene mit vielen Kornfeldern, in denen auch immer wieder Olivenbäume stehen. Das Korn ist auf vielen Feldern schon reif. Es steht sehr mager und niedrig und wird hier meist noch von Hand mit der Sichel geerntet, zu Garben gebunden und später gedroschen. Wir passieren die berühmte Felsbrücke Imi nIlfri, die Hartmut auf seinem Programm hat. Mir scheint, dass Martin wohl von sich aus dort nicht gehalten hätte – er ist jetzt schon reichlich kaputt von der Fahrt und möchte endlich Feierabend machen. Einige von uns steigen die vielen Stufen in die Schlucht ab – aber mehr als 25 Minuten will Martin nicht warten. Das ist mir zu knapp und drum bleiben wir oben. Martin drängelt bestimmt auch berechtigt, vor uns liegen noch 600 Stufen und der Zeltaufbau, das alles wollen wir noch im Hellen schaffen. Kurz nach 18 Uhr sind alle wieder da und die Fahrt geht weiter. Von weiten Teilen dieser Fahrt fehlen mir leider Fotos, mein Akku ist leer.

In Ouzoud angekommen stellen wir den Bus auf einem bewachen Parkplatz ab, schultern unsere sparsam bepackten Rucksäcke, gehen an vielen kleinen Lädchen und Restaurants entlang, steigen 1 Stufe hoch und 627 Stufen gut ausgebaute Stufen wieder ab. Nach einer Weile wird der Blick frei auf einen beeindruckenden Wasserfall, der in drei Stufen ins Tal stürzt. Unten angekommen müssen wir noch über Steine klettern und über eine (sehr) provisorische Brücke den Bach überqueren. Auf der anderen Seite geht es über Naturstufen sehr unterschiedlicher Höhe wieder hinauf. Langsam wird es dämmrig. Im verbleibenden Restlicht bauen wir unsere Zelte auf und sammeln uns anschließend auf der dunklen Terrasse des Campingplatzes. Elektrisches Licht gibt es hier nur aus einer Glühbirne in der Küche, die von einem Solarpaneel gespeist wird.

Martin hat gleich bei der Ankunft Tagine für alle bestellt und das übrig gebliebene Rinderfilet dem Wirt dazu in die Hand gedrückt. Das löst nicht bei allen nur Begeisterung aus, lässt sich aber nicht mehr ändern. Mit den Getränken kommt auch Licht in Form von Kerzen und später zum Essen ein Gaslicht. Leider ist die Tagine diesmal nicht so toll, unsere ist so stark angebrannt, dass nur die obere Hälfte überhaupt essbar ist. Pech – aber der Hunger treibt’s rein. Wir kriechen ins Zelt und die Nacht ist ruhig. Zweimal werde ich allerdings von lautem Krötengequake direkt neben meinem Ohr geweckt.

Früh werden wir geweckt, nach Frühstück und Zeltabbau geht es wieder an den Abstieg. Kein Vergleich mit dem Tag davor. Kein Schnaufen, Ächzen und Stöhnen. Michael und ich lassen uns trotzdem zurückfallen. So haben wir die Stille der Wüste wieder für uns.

Nach dem gemütlichen Abstieg, der wieder keinen Skorpion, wohl aber div. Mistkäfer vorhält, stürmen wir das Hotel und die Duschen. Lauwarmes Wasser spült den Saharasand aus Haaren und Augen, ein tolles Frühstück mit warmen Eiern, gerollten Pfannkuchen, KiriKiri-Käse (anderen Käse gibt es nach unserer Erfahrung nicht in Marokko), Marmelade, Margarine und Öl wird für uns serviert. Und nun klärt sich auch, was das seltsame Geräusch in der Nacht war. Am Rande des Erg Chebbi hat ein dreitägiges Musikfestival stattgefunden, das uzz-uzz der Techno-Musik der letzten Musiknacht schallte dabei bis in den frühen Morgen über die Wüste.
Martin drängt zum Aufbruch, er weiß, vor uns liegt noch eine lange Fahrt. Zurück geht es über den Wellblechsand, fehlende Pistenmarkierungen sorgen dafür, dass Martin sich leicht verfährt, aber dann finden wir die Straße doch.

In Rissani machen wir noch einmal Halt und haben nun etwas mehr Zeit für den Suk. Gestern hat Hartmut das Angebot einer Führung durch den Suk bekommen, heute nimmt er es wahr und wir schließen uns an, hier ist es wirklich sehr unübersichtlich. Wir bekommen den Eselparkplatz gezeigt, zwei kleine Tiersuks mit Schafen und Kühen, wir streichen durch überbaute dunkle Gassen, in denen alles angeboten wird, was mensch so braucht – oder auch nicht. Ich erstehe einen langen schwarz–bunt gebatikten Schal (der dann zu Hause bei mir im Zimmer als Vorhang sehr dekorativ vorm Fenster hängt), Hartmut steht der Sinn nach Grillfleisch: Kamel, Lamm und Rind werden erstanden. Neben uns am Fleischstand steht ein junger Berber in der üblichen traditionellen Kleidung, Turban und Jellabah, mit dem Handy am Ohr. Hier hat die Technik einen Entwicklungsschritt übersprungen. Ein Telefonleitungsnetz ist nie flächendeckend verlegt worden, der Handyempfang hingegen ist fast überall sehr gut.

Die Fahrt geht entlang des Hohen Atlas in Richtung Ouarzazate. Die Strecke führt wieder durch Sandwüste, seitlich begleitet von den schneebedeckten Gipfel des Jebel Ougnat und dem Jebel Saghro. Vereinzelte Akazienbäume und andere Büsche vermitteln einen Eindruck von Steppe, eigentlich gehören hier noch Giraffen, Elefanten und Antilopen hin, dann wäre das Bild perfekt. Doch schon die alten Römer haben dafür gesorgt, dass es hier kein Großwild mehr gibt.

Wir fahren wieder in den hohen Atlas hinein, der Bus muss klettern. An einem Aussichtspunkt halten wir und bewundern die Berge und Schluchten. Manche Bergkuppen sehen aus, als hätte ein Riese darauf gehauen, alles platt – so mancher dieser Bergkreise mutet wie ein großer Ufo-Landeplatz an. Weiter rechts sehen wir eine tiefe schwarze Schlucht, hier dürfte eine Menge Lava hinabgeflossen sein. Eigentlich wollen wir am El Mansour Eddahbi, einem großen See in der Nähe von Quarzazate, zelten. Aber wir sind ein bisschen spät dran und so suchen wir eine Stelle in den Bergen zum Campen. An einem trockenen Bachbett finden wir eine passende Stelle. Christian und Martin finden Holz für ein Grillfeuer und in einem mit Steinen ausgemauerten Loch machen sie ein Feuer. Ich habe ein wenig Bedenken, das Loch war gewiss für anderes vorgesehen, aber mein Einwand findet kein Gehör.

Nach einem kleinen Geplänkel um den besten Zeltplatz bauen wir unser Zelt auf und es wird schnell immer dunkler. Martin hockt am Grill und legt Lamm- und Kamelfleisch auf, das mit einem Mal doch nicht so reißend Absatz findet, wie gedacht. Mit der Dunkelheit frischt der Wind auf und schon wieder müssen wir im Bus essen. Ich befürchte mal wieder eine unruhige Nacht, aber unser Reiseleitungsteam findet doch noch den Windabstellknopf und so schlafen wir ruhig.

Der Tag beginnt mit Aufräumen, Zelt abwischen, Wäsche aufhängen und ähnlich unangenehmen Beschäftigungen. Frühstück gibt’s nebenbei. Michael und ich werden gerade noch so frühzeitig fertig, dass es noch für einen Cafe noir am Pool reicht. Der Himmel ist bedeckt und es läd nicht zum Bade – schade!

Heute wollen wir endlich in die Sandwüste, ein Trip, der von vielen – auch von mir – schon ungeduldig erwartet wird. Gegen 11:00 Uhr brechen wir auf, es ist nicht heiß, die Wolken werden langsam heller. Eine Zeitlang fahren wir die fast komfortabel anmutende N 13, die sich durch einen weißen Mittelstreifen auszeichnet. In Erfoud „erzwingen“ die Männer eine Bankpause, alle sind pleite und möchten noch mal einen Bancomaten suchen, finden und plündern. Auch Karin ist es ein Bedürfnis, bisher hat sich ihr jeder Automat widersetzt.

Eigentlich wollte Martin nach Rissani durchfahren, hält dann aber doch an, und warnt noch mal: Hier sei das Klima rau, die Menschen nicht freundlich. Wir haben keine Zeit das auszuprobieren, entern nur schnell den Automaten, für alle – bis auf Karin – erfolgreich. Die Arme, sie hat inzwischen herausbekommen, dass es ein technisches Problem zwischen den belgischen und marokkanischen Banken gibt. Wir lästern - kein Wunder, bei einem Land, das schon so lange keine Regierung hat - helfen ihr aber bereitwillig aus. Schnell sind alle wieder im Bus und weiter geht die Fahrt, nun wirklich nach Rissani. Hier legen wir eine Mittagspause ein, bummeln kurz durch einen festen Suk, auch hier gibt es Sandalen mit Autoreifensohlen zu kaufen. Anschließend sitzen wir vor einem Restaurant im Schatten am Rande einer lebhaft befahrenen und begangenen Straße: Autos, Esel, Menschen, Karren alles fröhlich durcheinander, ohne Stress und Geschrei. Es gibt Pizza Bebera, Omlette Berbera und Karin versucht sich an Spagetti. Und wenn mir jemand vorher erzählt hätte, dass ich am Rande der Sahara sitze und fröstele, ich hätte es nicht geglaubt.

Nach diesem letzten Stopp vor unserem Wüstentrip fahren wir jetzt Richtung Merzouga. Wir wollen allerdings nicht ganz bis Merzouga, dort fallen neuerdings Heerscharen von Touris ein, die mit ihren Bikes, Krads und was auch immer durch die Wüste knattern. Von weitem sehen wir nun endlich die hohen, rot-orange leuchtenden Sanddünen des Erg Chebbi. Schon weit vor Merzouga biegt Martin von der Straße für die letzten 9 Kilometer auf eine Sandpiste ab. Ab jetzt wird gerattert und gerappelt, das Wellblechprofil der Piste zwingt Martin zum Langsamfahren. Am Rande der Sanddünen liegt ein kleines Hotel. Dort fragt Martin, ob er den Bus stehen lassen kann. Er kommt mit der frohen Botschaft wieder, dass wir morgen Vormittag hier warm duschen und frühstücken könnten. Wir sind schwer begeistert.

Auf einer Plane vor dem Bus sortieren wir unsere Sachen und packen nur das wirklich Notwendige in den Rucksack. Neben den Übernachtungsutensilien (Zelt, Isomatte, Schafsack) packen wir noch Wasser und eine Apfelsine ein, das muss reichen. Ab hier wird gelaufen, wir wollen auf den höchsten Dünengipfel, der von hier aus zu sehen ist. Martin schätzt, dass wir so ungefähr 1 ¼ bis 1 ½ Stunden unterwegs sein würden. Ich hoffe, er hat seine Zeiteinschätzungen inzwischen meinem Tempo angepasst - er hatte. Martin, der Tapfere, packt noch Sachen für’s Abendessen und Frühstück ein. Danach gibt es in dem kleinen Hotel hinten auf der Terrasse noch einen Kaffee und gegen 17:00 Uhr ziehen wir los.

Seit wir in Marokko sind, hält Michael nach Skorpionen und Schlangen Ausschau und nun hofft (oder bangt?) er, dass die Wüste ihm welche zeige. Doch der Berber aus dem Hotel nimmt ihm alle Illusion, dort gäbe es nur Käfer und Mäuse. In enger Gruppenformation geht es los. Sonst laufen wir immer viel weiter auseinander, aber jetzt hat wohl jedeR etwas Respekt vor dieser Wanderung. Anfangs geht es ohne Steigung vorwärts, der Sand ist hart und trittfest, die Temperatur moderate 25°. Und schon treffen wir auch die angekündigten Käfer. Sie sind zuständig für die Entfernung des Kamelmistes, den sie in kleinen Kugeln vor sich her schieben. Wir sehen auch wieder kleine geschlängelte Spuren, sollte es sich doch um Michael Schlangen handeln? Aber sie gehören den Apotheker-Skind, einem Sandfisch, dessen getrocknetes und pulverisiertes Fleisch als Aphrodisiakum gilt.

Immer tiefer geht es in die Sanddünen, von denen die höchste ca. 250 Meter hoch ist. Wir umgehen einige Dünen und suchen nach dem einfachsten Weg. Hartmut sondert sich ab und geht eigene Wege – aber immer in Sichtweite. Immer öfter gibt es auch beschwerlichere Stellen, mit tiefem Sand, der immer dann gemeiner Weise besonders tief wird, wenn es auch steiler wird. Ich komme arg ins Schnaufen, bin mal wieder die Langsamste, aber was soll’s – ich genieße die einzigartige Landschaft. Ungefähr auf der Hälfte der Strecke zeigt Steffi nach oben, dort oben in der Mulde nahe den beiden höchsten Dünen wollen wir campen. Doch das war mal wieder ein fieser Trick. Nach dieser Mulde geht es noch mal so richtig hoch, jetzt kommen auch andere ins Schnaufen, die Gruppe geht schon lange nicht mehr eng beieinander, sondern hat sich – fitnessbedingt – auseinandergezogen. Michael bietet sich an den „Besenwagen“ zu machen. Wir sind noch auf der Hälfte der letzten kräftigen Steigung, da kommt uns Steffi schon fröhlich hüpfend ohne Gepäck entgegen und bietet mir Hilfe an. Doch dieses Stückchen will ich es nun auch noch allein schaffen und das klappt auch. Hinter mir kommen dann auch Karin und Michael an’s Ziel. In der Mulde zwischen den beiden höchsten Dünen bauen wir nun in einer Reihe die Zelte auf. Da es windstill ist, geben wir uns beim Aufbau nicht wirklich große Mühe, wir wollen schnell fertig werden.

Nachdem Michael und ich fertig sind, gehen wir an den Rand der Mulde und schauen in die Weiten der Sahara, mit Blick auf den Rand der Sanddünen, dahinter Steinwüste ohne Ende. Wir sehen unseren Startpunkt, das Hotel mit der blauen Tür in Richtung Wüste. Auch von den anderen hat sich jedeR eine Stelle gesucht und genießt den Moment. Lange hält es uns aber nicht am Rand der Mulde. Ich will höher hinaus, auf den schmalen Grad an unserer Seite. Michael geht vor, immer 20 Schritte steil bergauf, dann Pause. Aber wir schaffen es und sitzen bald hoch über den anderen auf dem Grad der Düne. Die Welt liegt uns zu Füßen, ein unbeschreibliches Gefühl. Wir genießen diese Momente der Ruhe, kaum ein Laut ist hier zu hören. Schon als ich 20 Jahre alt war, hatte ich den Wunsch die Sahara zu sehen und nun, nach so vielen Jahren, ist aus diesem Wunsch Wirklichkeit geworden … und zwar genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.

Erst nach einer ganzen Weile kommen die anderen  zu uns hoch und vorbei ist es mit unserer Zweisamkeit und Nachdenklichkeit. Wir gehen gemeinsam weiter, noch ein Stückchen höher den Grad entlang, bis wir wirklich ganz oben angelangt sind. Von hier aus können wir das Dünengebiet nach allen Seiten überschauen, es ist gar nicht so groß, wie es uns die Fotos in den Magazinen immer glauben lassen, vielleicht insgesamt 25 km2. Weit entfernt von uns zieht eine Karawane durch die Wüste – Touristen, die wie wir den Sonnenuntergang sehen wollen. In einer spärlich bewachsenen Mulde stehen zwei Kamele, haben anscheinend frei oder sind ausgerissen, kein Mensch in ihrer Nähe. Nach einer Weile sehen wir, wie die Düne neben uns von Menschen bestiegen wird. Es sind zwei Kids, die mit Surfbrettern immer wieder versuchen abzufahren. Erst jetzt wird mir klar, warum bei Moulut im Trödelladen auch Skier zu finden waren.

Wir sitzen lange auf dem schmalen Grad, Christian albert im Sand herum. Einige Wolken schieben sich an den Horizont, die Schatten werden immer länger, die Kanten schärfer. Der Sand verändert minütlich seine Farbe, ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene Ockertöne gibt. Michael versucht den Sonnenuntergang auf seiner Kamera festzuhalten und fotografiert alle Minute. Diese Fotoreihe wird sich als der Niedergang seiner Kamera erweisen, etwas Sand gerät ins Objektivgetriebe – vorbei! Erst als die Sonne am Horizont verschwindet und es doch sehr kühl wird, verlassen wir unseren Sitz auf dem Grad. Michael versucht die Düne auf dem Po herabzurodeln, ich laufe mit großen Schritten talabwärts, im tiefen Sand fühlt es sich an, als sei ein Teil der Schwerkraft aufgehoben – ein Moonwalk.

Schnell wird es nun dunkel, Michael und ich nehmen die Schlafsäcke und kuscheln uns an den Rand der Senke zum Sternegucken. Wir suchen die gewohnten Sternbilder, finden den großen Wagen auf dem Kopf wieder und verlieren uns in der Fülle der funkelnden Sterne. Ein leichter Wind kommt auf, es wird kälter und wir klettern in unser Zelt. Kleine Böen ruckeln an den Planen und obwohl es nicht wirklich laut ist, kann ich nicht schlafen. Zu viele Bilder tummeln sich in meinem Kopf.  Gerade als ich endlich eindöse, frischt der Wind auf, kräftige Böen rütteln nun am Zelt und wir hören den Sand rieseln. Es wird eine unruhige Nacht. Böen wechseln sich mit Stille ab.

Während einer kräftigen Böe hören wir Astrid rufen: „Martin!“ Wir ziehen schnell Hose und Stiefel an und klettern aus dem Zelt. Dort steht Astrid in Hemd und Slip und hält Hartmuts Zelt in der Hand. Da die beiden Zeltbewohner Hartmut und Christian noch in den Dünen liegen, hat sich das unbeschwerte Zelt losgerissen und wollte wohl schon mal zu Tal fliegen. Derweil ist auch Steffi aufgetaucht und gemeinsam versuchen wir, das Zelt zu bändigen, was gar nicht so einfach bei diesem Wind ist. Durch den Lärm, den wir dabei veranstalten, sind nun auch Hartmut, Christian und Karin aufgewacht und kommen uns helfen. Schade, dass das keineR gefilmt hat, die Mädels leicht bekleidet beim nächtlichen Tanz ums Zelt. Wir müssen viel lachen, aber auch viel bibbern, es ist reichlich frisch hier draußen. Wir befestigen alle Zelte noch mal, dann kehrt wieder Ruhe ein – allerdings nur bei den Menschen. Der Wind bleibt noch lange frisch und böig, erst in den frühen Morgenstunden kann ich ein Stündchen schlafen. Unerklärt bleibt vorerst auch ein regelmäßiges Geräusch, das die Stille der Wüste stört. Ich tippe irgendwann mal auf einen Generator, weit hinten in den Dünen hatten wir ein Berberzelt für Touristen gesehen.