Marokko 2011

Früh kräht der „Martin“-Hahn. Heute ist Reisetag. Mit nur 20 Minuten Verspätung starten wir um 8:20 Uhr Richtung Tiz-bin Zabel, einem Pass von 2.400 m Höhe über den mittleren Atlas. Auf dem Weg dorthin wird die Landschaft immer karger und gleichzeitig auch interessanter, unbeschreiblich. Wir drücken uns die Nasen an den Scheiben platt und wechseln regelmäßig auf den Beifahrersitz, damit jedeR mal vorn besser sehen kann. Eigentlich möchte ich alle 3 Minuten rufen: „Halt – Fotopause!“ Aber das geht ja leider nicht, wir wollen ja heute noch  ankommen – wo auch immer? Von früheren Fahrten kennt Martin die Piste und befürchtet Schlimmes.

Er kündigt uns schon an, dass wir immer mal wieder Strecken zu Fuß gehen müssen, damit die Reifen des Wagens nicht so belastet werden. Doch Dank M-Six (König Mohamed der VI) wird diese Erwartungshaltung „enttäuscht“. Die Piste ist neu geschottert. Trotzdem ist vorsichtig fahren angesagt, Steinschlag ist hier üblich. Als wir an kleinen Wasserfällen vorbeikommen, ist die Piste hier schon wieder kaputt. An einem dieser Wasserfälle füllen wir unsere gesamten Wasservorräte auf. Es sei „heiliges Wasser“ erzählt Martin. Nachdem wir den Pass überwunden haben, fahren wir eine Piste, die Martin handschriftlich als asphaltierte Piste in seiner Karte eingetragen hat. Hin und wieder müssen Martin oder Steffi nach dem Weg fragen. Es klappt mit einem Gemisch aus arabisch, französisch, englisch und deutsch. Wir finden die richtige Piste. Sie ist immer gerade so breit asphaltiert, dass es für ein Auto reicht. Kommt uns jemand entgegen, beginnt das Spielchen „Wer ausweicht, hat verloren!“ Aber es klappt immer wieder, ohne dass es zu Blechschaden kommt.

Die Bergformationen, die wir auf dieser Fahrt zu Gesicht bekommen sind besonders bizarr. Wenig bewachsen zeigen sich die geologischen Formationen besonders deutlich. Eng an eng sind die einzelnen Schichten erkennbar, durch mächtige Kräfte aus der Horizontalen in alle möglichen Richtungen verschoben. An einer Stelle biegen sich die Steinschichten in Form eines mächtigen steinernen Tores, der uns an das dunkle Tor von Dunharg aus dem Herrn der Ringe erinnert.

Wir fahren Richtung Outat-Oulad-El-Haj und irgendwann sind wir am Abbruch des mittleren Atlas hin zur Sahara angekommen. Das Gebirge fällt steil ab und geht in eine Steinwüste über. Irgendwo in dieser Einöde machen wir Mittagspause. Es ist der kleine Ort mit dem langen Namen Immoz`es-des-Marmucha. Entlang der Straße gibt es kleine Restaurants und Läden. Die Gruppe trennt sich, da es schneller geht, wenn nur 2 oder 3 Menschen was zu essen wollen. Michael, Karin und ich streichen durchs Dorf. Die Restaurants haben ihr totes Fleisch zur Werbung draußen hängen: tote Hühner, halbe Schafe und Ziegen, an denen noch der Kopf befestigt ist, damit mensch auch sieht, was es zu essen gibt. Mir vergeht der Appetit. In einem kleinen Laden kaufen wir Brot, Joghurt (süß) und harte Eier für’s Mittagessen. Für jedeN 2 Eier, dann kommt kein Hunger mehr auf. Auf dem Rückweg finden wir einen Schuster, der genau die Schuhe macht, die wir in Sefrou kaufen wollten. Wir gehen gemeinsam mit Martin dort hin und Michael ersteht ein paar Sandalen, handgeschustert und genagelt, mit Sohlen aus Autoreifen für 60 DH. Wenn er die erstmal eingelaufen hat, dann langen sie für ein langes langes Schuhleben.

Diverse Kilometer später bremst Martin mitten in der Steinwüste und biegt auf einen Schotterweg ab. Erst jetzt sehen wir in der Ferne einige wenige Häuser. Das ist der Hamam an einer Thermalquelle, an der wir heute zelten wollen – und mit ein wenig Glück auch baden können. Wir Frauen eilen schnell zum Hamam um zu fragen, wie es denn so aussieht mit der Geschlechteraufteilung oder ob wir vielleicht sogar gemeinsam das Piscine nutzen können. Doch weit gefehlt. Die Frauen könnten noch duschen, verstehen wir, ab 19:00 sind die Männer dran – es ist schon nach 18.00 Uhr. Wir beeilen uns also und holen unsere Sachen. In der Zeit wollen die Männer die Zelte aufbauen.

Wir kommen in einen dunklen, nur leicht beleuchteten Raum, unsicher stehen wir in der Gegend rum und erkennen dann: Das ist die Umkleide, es riecht muffig, an den Wänden zieht der Schimmel hoch. Von einer Deutschen, die zurzeit in Rabat lebt, habe ich gelernt: Die Unterhose bleibt an. Also ziehen wir uns soweit aus und erforschen die Umgebung weiter. Es gibt nur eine weitere Tür, diese führt eine Treppe hoch zu 4 Duschen. Schnell stellen wir uns rein und drehen das Wasser auf. „Kreisch!“ das ist ja soooo heiß und kein Kaltwasserhahn zum regulieren. Mit Ach und Krach kriegen wir uns so weit nass, dass das Shampoo drauf kann, schlimmer noch ist das Abspülen. Schnell sind wir fertig, das war kein Genuss. Und sehen uns weiter um und gehen um die Ecke. Dort ist das Piscine – ohne Wasser. Na klar, wenn die Männer um 19:00 Uhr dran sind, muss ja das Wasser gewechselt werden, geht ja wohl nicht, da waren ja vorher Frauen drin…. Also war’s das für uns Mädels. Wir ziehen uns an und sind schnell wieder draußen.

Als wir um die Ecke kommen, sehen wir, dass die Herren der Schöpfung immer noch mit dem ersten Zelt beschäftigt sind. Derweil hat der eh schon kräftige Wind noch mal aufgefrischt, der Himmel wird immer dunkler, es blitzt und wetterleuchtet. Ein Zeltaufbau bei diesem Wind dürfte schwierig werden - und nun? Und wir haben Glück. Im Gebäude etwas abseits des Hamams sind Gasträume, einfachst eingerichtet, mit jeweils 2 Matratzen. Zwei dieser Räume sind noch frei, doch einer der beiden ist so dreckig (uns wird gedeutet, wir könnten ihn ja saubermachen), dass wir dankend verzichten und nur den anderen Raum nehmen. Er ist so groß, dass gerade 6 Isomatten reinpassen und die Tür noch zugeht. Steffi und Martin haben sich eine Zwischendecke in den Bus geschweißt, dort können sie schlafen. Also ist alles ok. Nun gehen die Kerle ins Hamam. Wir bauen unsere Matten auf, und bereiten das Abendessen vor. Es gibt gesammelte Reste: Brot, Wurst, Käse, noch 2 Tomaten, ne ¼ Gurke und Oliven.  

Dann kommt Michael als Erster aus dem Hamam zurück, er ist immer noch ganz entsetzt. Das Wasser im Piscine sei sehr heiß gewesen, das könne ja kein Mensch aushalten. Für ihn ist der Hamam für den Rest der Reise „gestorben“. Kurz danach kommt auch unser jüngstes Reisemitglied und bestätigt: „Das ging gar nicht!“. Martin und Hartmut haben die Hitze im Picine – sie haben rausbekommen, es waren 42° - tapfer minutenweise ertragen, aber mir scheint, ein Genuss war es für sie nicht. Den Rest der Reise grippt Martin mit Halsschmerzen und Schnupfen vor sich hin und vermutet einen Angriff auf seine Abwehrkräfte durch das heiße Wasser. 

Die Nacht in dem kleinen Zimmer ist unruhig, unsere SchnacherInnen outen sich wieder, einer der wilden Hunde schnüffelt an der Tür und früh morgens verirrt sich ein kleiner Junge in der Tür und starrt erstaunt auf die vielen schlafenden EuropäerInnen.

In der Nacht hat es ein bisschen geregnet. Als ich gegen 4 Uhr mal raus muss, begegne ich einer dicken Kröte, die mich erstaunt anstarrt. Morgens in der Früh hören wir die anderen kramen und stehen auf. Ich nehme rasch eine „Dusche“ im Fluss und komme herrlich erfrischt an das schon wieder fackelnde Lagerfeuer, diesmal nicht nur mit Tee, sondern es gibt auch Kaffee, wunderbar! Gestern hat uns Martin eine Wanderung in den Canyon vorgeschlagen. Er kennt die Strecke auch nicht und ist neugierig. Natürlich wollen alle mit. Wir vereinbaren: Max. 2 Stunden in das Tal hinein und dann zurück. Doch es soll anders kommen.

Wir nehmen den kleinen Anstieg zum Bus, der mir gestern so lang vorkam. Jetzt merke ich – ohne Gepäck und in Kenntnis der Strecke: es sind wirklich nur 250 m und mache eine kleine Abbitte an Martin, den ich gestern etwas angemuffelt hatte: „Erzähl‘ nicht es seien 250 m, wenn es doch viel mehr ist.“ Oben am Bus tanken wir noch mal Wasser und sind gleich wieder von den Kindern der Siedlung umringt.

Wir gehen an der linken Seite des Flusses entlang. Schnell werden aus dem kleinen Pfad nur noch verzweigte Ziegen- und Schaftritte, die am Hang entlang laufen. Wir queren Hänge mit vielen losen Steinen, Steinrinnen und andere kleine Hindernisse. Trotz strahlendem Sonnenschein laufen wir noch im Schatten des Hügels neben uns. Die gegenüberliegende Seite liegt in der Sonne. Dort läuft ein ausgetretener Weg den Fluss entlang. Ein bisschen neidisch schaue ich rüber: „Warum laufen wir nicht da?“
Nach rund einer Stunde beraten wir uns. Wollen wir weiter auf dieser Seite laufen und nachschauen, was hinter der nächsten Kurve liegt, dort, wo der Canyon enger zu werden scheint? Soll es langsam zurückgehen oder wollen wir den Hang hinunterklettern, den Fluss queren und auf der anderen Seite wieder zurücklaufen? Wir schauen den Hang hinab, um  eine Stelle zu finden, an der wir den Fluss trotz Gepäck überqueren können. Eine Furt, wie mensch sie sich so langläufig vorstellt, ist dort jedenfalls nicht zu sehen. Doch Martin zeigt uns die Stelle, von der er meint, dass es ginge.

Eigentlich bin ich dafür, noch mal um die Ecke zu schauen, dann zurückzukommen, den Fluss zu queren und unten am Fluss entlang zurück zu gehen. Ich habe den schönen bequemen Weg im Gedächtnis, den ich auch dem Hinweg dort drüben gesehen habe. Aber wenn ich jetzt so schaue, da sind nur Felsen. Aber vielleicht kann mensch ja unten am Fluss bei den Orleanderhecken entlanggehen.

Irgendwie entscheiden wir uns dafür, gleich zu queren und ruck zuck machen sich alle daran, den Felsen zum Fluss hinunterzukraxeln. Es ist eine ziemliche Kletterei, die je nach Erfahrung mehr oder weniger anstrengend ist. Unten angekommen, hat Martin schon mal die ausgeguckte Furt ausprobiert und festgestellt, das war wohl nix. Etwas weiter Fluss aufwärts entdeckt er eine bessere Stelle. Also geht es die Hälfte des Felsens wieder hoch, um zur nächsten Sandbank zu kommen. Auch hier erschließt sich der Weg in Richtung Camp nicht so richtig, überall Felsen. Ich sehe Martin drüben auf der anderen Seite hoch oben auf einem Fels stehen – da soll ich doch nicht etwa auch hoch?? Aber davor hat die Wandergöttin die Querung des Flusses gesetzt. Martin ist wieder zurückgekommen. Er behält seine Wanderstiefel an und hilft uns beim Gepäck. Ich habe wie immer meine wasserfesten Wandersandalen dabei und fühle mich am Anfang im Fluss auch sehr sicher. Michael und ich gehen zusammen in den Fluss. In der Mitte wird es nicht nur ´ne Ecke tiefer, mir geht das Wasser gut bis an den Bauch, auch die Strömung wird heftiger. Immer wenn ich stehenbleibe, merke ich, wie mir die Steine unter den Schuhen weggezerrt werden und die Strömung mich kräftig drückt. Ich erinnere mich an Martins Anweisung: „Immer mit dem Bauch in die Strömung“, probiere ein bisschen rum und siehe da, sich der Strömung entgegenzustellen ist am leichtesten. Mit einem komischen Gefühl im Bauch kämpfen wir uns auf die andere Seite durch und haben es dann auch gleich geschafft. Lachend zeigt uns Martin ein Foto von uns: Händchenhaltend mitten im Fluss. „Erzählt zu Hause bloß nicht, da sei starke Strömung gewesen“. Pah Martin, das war eine starke Strömung, zumindest für uns!

Aber das dicke Ende kommt erst noch. Wie schon von der anderen Seite aus zu vermuten war: Es gibt keinen Weg am Fluss entlang. Also musste es doch die Kletterei über die Felsen werden. Die Felsen hoch, ein Stück den Hang entlang, dann die Felsen wieder runter. Damit sind meine Kräfte ziemlich am Ende. Trotzdem nehme ich den Rucksack, den Michael bis dahin tapfer und ohne zu klagen geschleppt hat. Wieder geht es steil die Felsen hoch und schnell geht gar nichts mehr. Ich nehme den Rucksack ab, stelle ihn auf den nächsten Felsvorsprung und klettere hinterher. Nach einer Weile kommt Martin nachsehen, wo seine beiden Schlusslichter bleiben. Er nimmt mir den Rucksack ab, so dass Michael und ich die Hände frei haben. Also steil den Felsen rauf und logischerweise auch wieder steil runter. Als ich die Kletterstrecke endlich als absolutes Schlusslicht geschafft habe, geht gar nix mehr. Nun spielt auch noch mein Kreislauf verrückt, Piepvögelchen zwitschern um meinen Kopf herum. Aber es hilft ja nix, ich will wieder ins Camp. An einer seichten Flussstelle machen wir endlich eine längere Pause. Ich ziehe meine Stiefel und meine Hose aus und dann ab in den Fluss. Zwei Schritte, ich rutsche aus und sitze bis zur Brust im Wasser – auch ok.

Der Rest des Weges erweist sich als „Rentnerweg“ und ist in recht kurzer Zeit geschafft. Als wir am Camp wieder auf Steffi treffen, die bei den Zelten bleiben musste, sehen wir gerade noch ihren Besuch entschwinden: Ein sowas von sich männlich fühlender Marokkaner, der einen Hund bei sich an der Leine führt. Er hätte versucht sie anzugraben und als das nicht klappte, sie über uns – ihre Familie - ausgefragt, erzählt Steffi lächelnd. Solche Typen lässt sie doch am langen Arm verhungern. Den Rest des Tages liegen wir faul in der Gegend rum, nur Martin und Hartmut machen nachmittags noch mal einen Gang zu einer Kasbar (größeres Haus, hier als Ruine). Als sie zurückkommen strahlt Martin: „Habt ihr ein Glück, dass ich das eben erst entdeckt habe, ein ideales Camp!“ 

Auch heute haben wir wieder viele Beobachter, sie sitzen am gegenüberliegenden Ufer und schauen mehr oder weniger auffällig zu uns herüber. Auch Steffis „Freund“ ist wieder dabei, der hat sich mit einigen anderen an einer Badestelle getroffen und planscht nun – immer wieder beifallheischend zu uns schauend – im Wasser. Als wir so gar nicht reagieren, zieht er als letztes verzweifeltes Mittel seiner Wahl die Badehose aus und präsentiert sich im Adamskostüm. Aber außer einer für ihn unsichtbaren heiteren Reaktion unsererseits erreicht er damit auch nicht mehr, als dass wir noch ein bisschen über ihn spekulieren: Der wird wohl mal in Europa gewesen sein, Hund an der Leine und nackiger Popo, das ist alles sehr untypisch für einen Marokkaner.  

Abends am Feuer erkundigt sich Martin mal ganz vorsichtig nach unseren Bedürfnissen der Nahrungsaufnahme. Ob wir es denn tolerieren könnten, wenn’s mal knapp und unregelmäßig würde? Meine Meinung dazu: Dass es auf dieser Reise nicht Punkt 12 Uhr und Punkt 20 Uhr das 3-Gänge-Menü gibt, ist doch klar, oder? Aber vielleicht war die Frage ja doch wichtig, um bei dem einen oder der anderen noch mal das Bewusstsein dafür zu schärfen.

Nach dem üblichen Gedränge vor der Dusche und dem Frühstück packen wir unser Gepäck zusammen und brechen auf. Wir hatten gestern beschlossen, einen weiteren Tag Fes zu streichen, wir haben alle genug Stadt gesehen und wollen weiter. Noch schnell einen Cafe noir im Cafe (damit Fee wach wird) und dann geht die Fahrt Richtung Sefour. Dort wollen wir auf dem Suk (dem traditionellen Markt) Sandalen mit Autoreifensohle kaufen. Wir wandern über den kleinen Suk von Sefour, der so anders ist als das hektische Fes. Viele Obst- und Gemüsestände, einige Lädchen mit Kleidung und Haushaltswaren. Leider ist der Schuhmacher – den Martin von früheren Touren kennt -  nicht da, auch Nachfragen, bestehend aus Brocken Französisch, Arabisch und vielen Gesten bei seinen Nachbarn helfen nicht weiter. Also kaufen wir viel Obst und Gemüse sowie Eier für sehr wenig Geld und fahren weiter.

Nach ca. einer halben Stunde Fahrt hält Martin an der Straße neben einer Minisiedlung aus Lehmhäusern. Schon von weitem werden wir beäugt „was sind das für welche?“ Als wir aussteigen, kommt ein Rudel Kinder angelaufen. Genau für solche Zwecke haben wir einen großen Schwung Kinderkleidung an Bord. Schnell wechseln kleine und große Pullover ihre BesitzerInnen, nur ein ca. 12 bis 14jähriger Junge ist wählerisch, erst ein rotes Shirt mit in seinen Augen wohl coolem Aufdruck gefällt ihm. Martin radebrecht mit den ankommenden Müttern, dass wir den Bus dort bei den Häusern stehen lassen wollen und während wir unsere Sachen zusammensuchen, kommt eine ältere Frau zu uns an den Bus. Sie hat eine Kanne eiskalte Buttermilch dabei und ein Glas. So bekommt nach und nach jedeR von uns etwas von diesem köstlichen Getränk ab. Wir bedanken uns artig mit: „Schukran!“ – bei dem einen oder anderen kommt auch etwas nur bedingt ähnliches heraus, wir müssen halt noch üben.

Bepackt mit Rucksack und Zelt, Isomatte und Schafsack, vorm Bauch den Tagesrucksack wandern wir hinunter zum Fluss. 250 m sollen es nur sein, hat Martin gesagt. Aber wie es so ist, der Tag ist warm, das Gepäck schwer und der Weg unbekannt, ich schätze das Ganze auf mindestens 500 m, gefühlt 5 km. Der Weg führt durch kleine karge Getreidefelder, Gestrüpp und Steine hinunter zu einem knallblauen Fluss. Wir bauen die Zelte auf und stürzen uns in die Fluten, Wassertemperatur so um die 18 – 19°,  sehr angenehm bei der Hitze. Die Strömung ist an manchen Stellen so stark, dass selbst Kraulen (und ich bin dabei nicht langsam) einen maximal an der Stelle hält und nach einer Weile auch trotzdem davonträgt. Wir lassen uns ein Stück treiben, halten uns aber im Gegensatz zu Hartmut, Martin und Christian lieber in Ufernähe auf, um im Fall der Fälle eine Baumwurzel als Haltepunkt greifen zu können. Und es erweist sich auch als klug, denn als wir Hartmut das nächste Mal sehen, hatte es ihn in einige Strudel doch ziemlich rein- und runtergezogen. Das ist mir entschieden zu gruselig und so suche ich nach Stellen, in denen es nicht so turbulent zugeht.

Zum Abend hin baut unser jüngster Mitreisender Christian das Lagerfeuer auf und versucht mühsam und erst nach längeren Versuchen erfolgreich das Feuer mit seinem mitgebrachten „Überlebensset“ zu zünden. Bald kocht der unverzichtbare Minztee im Kessel auf dem Feuer und wir schnitzen Gemüse für’s Abendessen. Welche Ruhe im Gegensatz zu dem hektischen Fes. Aber wie heißt es so schön: „In Marokko bist du nie allein!“ Und richtig, hin und wieder kommen Schäfer mit ihren Herden vorbei und auf der anderen Seite des Flusses kommt ein Mann, um seinen Esel zum Weiden zu bringen. Auch er schaut neugierig zu uns herüber; Europäer, die hier zelten, sind wohl eher sehr selten. Martin vermutet gar, dass er wohl mit einer anderen Gruppe vor 3 Jahren hier als letzter Europäer zu sehen war. Michael erklärt sich bereit, das Geschirr unten am Fluss zu spülen und findet zur Belohnung eine kleine Schildkröte, die vor ihm Reißaus nehmen will, doch er kann sie einfangen und uns zeigen. 

Nach dem Essen teilen sich 5 Leute 3 Dosen Bier und wir lassen die ½ Flasche Whisky kreisen, die wir am Flughafen noch schnell erstanden haben. Es wird dunkel, die Sterne zeigen sich nach und nach und Martin hat seine Gitarre ausgepackt. Zeit zum Träumen. Früh gehen wir in die Zelte, es war ein anstrengender Tag.

Für den frühen Morgen hatte uns Steffi schon den Muezzin angekündigt und ich werde früh um fünf von seinem Gebet geweckt. Er hat eine sehr melodische „seelenvolle“ Stimme im Gegensatz zu allen anderen Muezzins, die wir noch so hören werden. Um 7 Uhr ist Wecken angesagt, es gibt ein kleines Gedrängel vor der einzigen Dusche des Hauses. Zum Frühstück gibt es süßen Tee, Weißbrot, Butter, Margarine, die wie Frischkäse aussieht, Marmelade und gerollte Pfannkuchen. Um 9 Uhr sind wir mit Najib, einem Freund von Martin, verabredet. Er zeigt uns die Medina von Fes.

Die Altstadt von Fes wurde 1976 zum UNESCO-Kulturdenkmal erhoben. So ist Geld zum Erhalt und der Renovierung vorhanden, was an vielen Stellen sichtbar wird. Das Bab Boujeloud – das Westtor – ist gerade frisch renoviert worden und ist mit einem aufwändigen blau gehaltenen Mosaik geschmückt. Auch wenn uns die Medina von Fes wie ein Museum aus dem Mittelalter erscheint, leben und arbeiten hier mehr als eine viertel Million Menschen. Najib führt uns in die labyrinthischen Gassen, das Gedränge von Menschen, Karren und Eseln in der autofreien Altstadt ist dicht.  Schnell haben wir den Überblick über den Rückweg verloren. Hier lernen wir ein wichtiges Wort: „Balek!“ Die Karrenschieber und Eselführer rufen es und mensch muss sich schnell in Sicherheit bringen, sonst wird gerempelt. Wir verstehen „Balack“, wie der deutsche Fußballspieler und können uns das Wort gut merken. Wir bleiben an Garküchen stehen und linsen in die Töpfe, probieren Harira (Bohnensuppe) und eine Linsensuppe mit Olivenöl, die traditionell zum Frühstück gegessen wird.

Najib führt uns zu einer der wenigen Koranhochschulen, die für uns Nichtmuslime als Museum zugängig ist. Sie ist aus dem Jahr 1280 und beherbergte in winzigen Kammern mit Hochbetten die Studenten. Auf dem Innenhof und in einem Seitenteil saßen die Studenten jeweils in kleinen Gruppen um den Lehrer, Lehrpläne und Prüfungen gab es noch nicht. Wir kommen an vielen anderen Moscheen vorbei und können immer wieder einen kurzen Blick durch die weit geöffneten Tore werfen. Najib weist uns darauf hin, dass zu jeder Moschee auch ein Hamman (Bad), ein Brunnen und ein Bäcker gehören. 

Wir besuchen eine Weberei und ich kaufe für Tabea einen wunderschönen lila-grün- schimmernden Stoff. Alles wird dort noch mit der Hand gewebt, nicht nur grobe Stoffe, sondern auch feine Seiden oder Baumwoll-Seidengemische. Nachtrag: Als ich meiner Tochter den Stoff später überreiche ist sie schwer begeistert. Sie will sich daraus ein Kleid schneidern. Leider erweist sich das als unmöglich. Der handgewebte Stoff ist zu locker gewebt. Schade!

Besonders beeindruckt hat uns das Viertel der Gerber. Von der Galerie eines Lederwarengeschäfts können wir auf die arbeitenden Gerber herunterschauen. Schon am Eingang bekommen wir einen Stängel stark duftender Minze in die Hand gedrückt. Noch weiß ich nicht wofür, doch als wir auf der Galerie stehen, wird mir der Sinn schnell klar. Ein beißender Gestank liegt über dem Gerberplatz. Die Arbeiter balancieren in hochgewickelten Hosen auf den Bottichrändern der Kalkbecken und Gerbertöpfe. Sie arbeiten ohne Schutzhandschuhe, stehen oft bis hoch an die Oberschenkel in den Töpfen mit der Gerberlohe. Ein Angestellter des Lederwarengeschäfts will uns weis machen, es würden nur „natürliche“ Mittel verwandt, zum Gerben Taubenkot, zum Färben Mohn (rot), Safran (orange), Minze (grün) und Indigo (blau). Doch wir können das ziemlich schwer glauben und auch der Reiseführer in Schriftform lässt verlauten: „es wird meist mit Chemikalien gearbeitet“. Mein Zoom des Fotoapparates holt mir dann auch einen Sack mit Ammonix (Ammoniak) vor die Linse. Sonst allerdings ist nichts zu sehen, was auf die Beimischungen schließen ließe. Der Rückweg durch das Lederwarengeschäft zeigt ein großes Angebot von Lederwaren aller Art. Steffi liebäugelt mit einer Lederjacke – Startpreis 350 Euro – sie wechselt den Besitzer nach langen zähen Verhandlungen für 120 Euro und Steffi kann sich zusätzlich noch ein paar marokkanische Schlappen aussuchen. 

In einem kleinen Restaurant machen wir Pause. Der Inhaber, ein kleiner 70-jähriger, drahtiger Marokkaner macht seine Faxen mit uns, macht Handstand und zeigt auch ansonsten, wie fit er noch ist. Er erklärt uns, dass er früher Leistungssportler war. Seine Frau hinter der Theke ist höchstens 30 Jahre alt.  

Im Anschluss an die Pause landen wir in einem traditionellen Kleiderladen. Ruckzuck hat der Besitzer allen eine Schabala übergezogen, er zeigt dabei ein erstaunlich gutes Auge dafür, was wem am besten steht und wir stellen uns auf zum Gruppenfoto. Der blaue Turban, den sich Michael vormittags aus einem frisch gekauften Tuch gemacht hat, passt wunderbar zur blauen Schabala und er bekommt den Namen Blue Baba. Das sollte allerdings das letzte Mal sein, dass Michael so genannt wird. Den Rest der Reise wird er von allen MarokkanerInnen immer wieder Ali Baba genannt, egal, ob er seinen Turban auf hat oder nicht, muss wohl am hellen Bart liegen.

In einem Kräuterladen, den uns Najib als „Apotheke“ anpreist, bekommen wir Riechproben von allerlei Gewürzen und auch von schwarzem Kümmel, der die Nase frei macht und gegen Schnarchen helfen soll (wir wissen jetzt nach der ersten Nacht, wer die SchnacherInnen sind), Wir testen das Argan-Öl, aus der Kultur der Amazigh-Berber, die seit Jahrhunderten von und mit dem Arganbaum leben. Die Industrialisierung hätte dieser Kultur fast den Garaus gemacht, aber die marokkanische Regierung hat rettend eingegriffen und die UCFA (Union des Coopératives des femmes de l’Arganeraie) gegründet. In dieser Organisation sorgen mittlerweile etwa 22 Kooperativen mit über 1000 Frauen dafür, dass die Tradition des handgepressten Arganöls erhalten bleibt. Ob das Öl, was wir dort erhalten, aus dieser Organisation ist, finden wir nicht heraus. Der Besitzer des Ladens erwähnt diese Kooperative auch gar nicht, sondern macht seine Scherzchen damit, indem er uns erzählt, dass die Früchte der Arganbäume von den Ziegen gefressen werden, die dann die Kerne unverdaut wieder ausscheiden, diese dann gesammelt und zu Öl verarbeitet werden. (Meine Recherche im Anschluss an die Reise in Wikipedia bestätigt diese Arbeitsweise erwartungsgemäß nicht.). Ich erstehe dort  einen kleinen Block stark riechende Moschuss“seife“, gut als Deo und gegen Kleidermotten. Hier werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass mit Moschus viel geschummelt wird. Dazu wird ein Block von außen mit Moschus bestrichen und dann als reine Ware verkauft. Daher solle man sich den Block immer aufschneiden lassen, um diesem Trick auf die Spur zu kommen. 

Wir besichtigen eine winzige Backstube, die aus einem einzigen Raum besteht. In die Wand ist ein alter Ofen eingebaut. Jede Familie kann hier ihr selbstgemachtes Fladenbrot zum Backen abgeben. Der Bäcker, so erzählt Najib, sei so was wie die „gelben Seiten“ der Medina, er wisse genau, wer wo wohnt, weil er die Fladenbrote anschließend auch ausliefert.

Zum Abschluss führt uns Najib zum Ausstellungsraum seiner Familie. Sie betreiben seit einiger Zeit eine Teppichweberei und einen– handel. Michael verliebt sich auf den ersten Blick in einen handgewebten dünnen Schaf- und Kamelwollteppich, der in 3 Farben (weißes Schaf, schwarzes Schaf und Kamel) daherkommt. Als Preis nennt der Verkäufer 800 DH (ca. 70 Euro), da mögen wir nicht handeln, obwohl wir ihn bestimmt noch günstiger hätten bekommen können. Als Dreingabe gibt es noch einen schönen handgewebten Kissenbezug. 

Wir haben uns von 9 Uhr bis 16 Uhr in der Medina rumgetrieben, nun sind wir alle ziemlich platt. Es geht zurück ins Quartier, um 18 Uhr wollen wir uns in einem Cafe treffen, dort ist afrikanisches Trommeln angesagt. Hier lasse ich mir von einer Schwarzafrikanerin ein schönes Hennatatoo auf den Unterarm und die Hand malen. Ich pflege es den ganzen Abend, halte es schön feucht, aber es hätte die Nacht noch gebraucht, das wollte ich aber unserer Gastgeberin nicht zumuten: Henna in der frischen Bettwäsche. So ist am nächsten Morgen leider nur noch ein blasses Muster zu sehen.

Für die 2. Nacht war uns eigentlich noch ein 3. Zimmer versprochen worden – daraus wurde leider nichts. Erst war es frei und Karin und Astrid hatten ihr Gepäck schon dort hingestellt, doch als wir abends aus dem Cafe kamen, hatte es unser Gastgeber wieder rausgeräumt und das 3. Zimmer an weitere Gäste vermietet. Auch eine kleine lautstarke Diskussion konnte daran nichts mehr ändern.