Marokko 2011

Der Tag beginnt mit petit dejeuner = Kaffee, Fladenbrot, Butter, Olivenöl (sehr lecker!) und flüssiger Marmelade. Nachdem alles wieder im Bus verstaut ist, die Schuhe vom aufgeweichten Lehmboden soweit gesäubert sind, dass Martin sie im Bus zulässt, geht die Reise weiter. Da wir gestern schon ein Stückchen durch den Ort gefahren sind, wissen wir, dass es wieder viel Schönes zu sehen gibt und gehen ein Stück des Weges zu Fuß. Rechts steigen die Felswände steil auf, teilweise sind die Häuser schon vor langer Zeit in den Fels gebaut worden.  Links geht es abwärts zum Fluss, strahlendes Oasengrün gibt den Kontrast zu den ockerfarbenen Felsen. Auf dem Weg treffen wir eine alte Frau, gebückt durch die Lasten, die sie tagein, tagaus zu schleppen hat. Sie strahlt uns an, singt und tanzt uns vor und albert rum. Entweder hat sie heute extrem gute Laune oder hat schon ordentlich gekifft oder findet sie uns EuropäerInnen so absonderlich? Auch das wird eins der Geheimnisse bleiben, die diese Reise für sich behalten wird.

Weiter geht es Richtung Toudra-Schlucht, die in allen Reiseführern mit Superlativen beschrieben wird. Auf ca. 2.000 m Höhe machen wir halt, weil wir am Straßenrand ein nettes Cafe entdeckt haben. Zwar ist der Wind noch kalt, doch mit Jacke lässt es sich in der Sonne aushalten. Langsam rücken die Berge weiter zusammen. Der Verkehr auf der Straße wird touristischer. Nach etlichen Kilometern lässt uns Martin raus und wir laufen Asphalt. Schluchtenverwöhnt, wie ich von anderen Reisen bin, finde ich das alles wenig spektakulär. Rechts im Berg lärmen einige Touristen, meine Stimmung sinkt gen Null. Trübe latsche ich den Asphalt, ärgere mich über jedes Auto und die Welt an sich ist böse. Nach einiger Zeit sehe ich unseren Bus, er steht auf einem Parkplatz nahe der engsten Stelle der Schlucht, die hier wirklich spektakulär wäre, wären da nicht die diversen Händler mit ihren Ständen und unendlich viele Touris aus aller Herren Länder. Nach einer kurzen engen Stelle, die mit ohrenbetäubendem Lärm eines Generators gefüllt ist, wird es wieder weiter. Hotels reihen sich aneinander und am Fluss, der dort – woher auch immer – auftaucht, kampieren marokkanische Gruppen, machen dort Picknick, trommeln und lassen es sich gut gehen. Meine Stimmung hebt sich wieder und als mich der Bus einlädt, ist alles wieder ok.

Wir fahren weiter und bald wird der Blick frei auf die Sahara. Was aus dem Wetter werden will, ist noch nicht so wirklich ersichtlich. Dunkle Wolken wechseln mit sonnigen Abschnitten. Die Steinwüste, die wir nun durchfahren, wird nur wenige Male durch militärische Anlagen und kleine Orte unterbrochen, die Landesgrenze zu Algerien ist hier nicht weit. Manchmal blitzen rechts der Straße Palmenwipfel auf, Zeichen des uns begleitenden tiefer liegenden Oasenbandes des Oued Zis. Martin biegt irgendwann mal nach rechts unten auf eine bucklige Pflasterstraße ab. Wir haben die Oase Meski mit den blauen Quellen erreicht. Hier gibt es einen Campingplatz mit Pool, der von Fremdenlegionären im 1. Weltkrieg „über“ die Quellen gebaut wurde. Das Wasser ist sehr klar und einige Fischchen leisten den Badenden Gesellschaft.

Wir bauen unser Zelt unter Palmen auf, machen einen kleinen Gang durch die Oase. Bummeln an den kleinen Läden vorbei und werden sofort gecheckt, ob nicht Geld aus uns herauszuholen ist. Wir schachern eine Weile um eine blaue Jellabah für Michael, der junge Mann verlangt allerdings Traumpreise, aber nicht mit uns. Also trollen wir uns wieder. Als wir um die Ecke verschwinden, läuft er uns hinterher und versucht es noch mal, und siehe da, unser Angebot von 50 DH wird mit lautem Klagen angenommen. Wir wandern weiter in die Oase hinein, durch einen Palmenwald an einem kleinen Kanal entlang. Allerdings machen wir bald kehrt, das Licht wird immer düsterer und für Fotos reicht es schon lange nicht mehr. Michael und ich gehen Wäsche waschen, in der Ferne wetterleuchtet es. Martin und Steffi kochen Spagetti mit Thunfischsauce und Avocadocreme mit reichlich Knobi. Gerade als ich meine Klamotten ausspüle, fängt es kräftig an zu regnen. Wir flüchten in den Bus und da das Essen fertig ist, wird erst mal gegessen. Anschließend stellen Michael und ich fest, dass wir unser Zelt in einer (nicht gesehenen oder nicht sichtbaren?) Kuhle aufgebaut haben. Alles steht unter Wasser. Mit dem Klappspaten machen wir uns daran, das Wasser zum Abfließen zu bewegen – ein mühsames Geschäft. Anschließend wollen wir das Zelt umsetzen, doch da kommt Moulut, einer der Händler, der am Rande des Campingplatzes einen kleinen Laden sein eigen nennt. Er bietet uns an bei ihm im Verkaufsraum zu übernachten. Dankbar nehmen wir an und schleppen Isomatte, Schlafsack und nassgewordene Rucksäcke in seinen Trödelladen, dessen Rückwand aus Felsen besteht. Dort kann erworben werden, was Moulut so aufgetrieben hat: Gemälde, Tücher, Teekannen, ein Almgeläut wie es früher bei meinen Eltern hing, Wasserpfeifen, allerlei Musikinstrumente und auch ein Paar alte Skier sind dabei.

Nach und nach kommen auch unsere andern Mitreisenden zu Moulut. Martin bringt seine Gitarre mit, ein Tütchen macht die Runde und wir lassen es uns gut gehen.  Moulut braut Tee und sein Freund Moulut kommt auch. Die beiden Mouluts spielen zusammen in einer Band, die auch schon durch Spanien getourt ist. Molut I greift zur Trommel, Molut II zu einer alten Laute und schon spielen sie auf. Martin staunt nicht schlecht, als er vorher die Laute in der Hand hatte, war sein Eindruck: Die ist hin! Michael und ich sehen uns an, das wäre doch was für das Marsala-Festival in Hannover, wir nehmen uns vor, dort mal für die Moulut`s vorzusprechen. Wir erwerben eine CD, um diese Musik mit nach Hannover zu nehmen. Martin und die Moulut’s wechseln sich mit der Musik ab und so bekommen wir ein Konzert besonderer Art. Insbesondere Molut II ist - selbstverständlich neben Martin ;-) - ein begnadeter Musiker, der Laute und Gitarre beherrscht und in diversen Sprachen Lieder kennt und „landestypisch“ zum Besten gibt. Als er ein bayrisches Lied anstimmt, erkennen wir es allerdings erst nach den ersten zwei bis drei Sätzen, müssen dann aber sehr darüber lachen.

Heute ist es deutlich später als sonst geworden und müde trollen sich die anderen in ihre Zelte. Moulut I zeigt uns noch, wie die Türen verschlossen werden und dann haben wir das Trödelreich für uns. Ich lösche das Licht bis auf eine einzige kleine Funzel, die nun die Schatten an der Wand lebendig werden lässt. Hinter Lampen und Spiegeln lassen sich kleine Dhinns vermuten und ich bin gespannt auf die Träume, die sie bringen werden.

Am Morgen werden wir diesmal mit sanfter Musik geweckt. Ruhig werden die Zelte gepackt und danach gibt’s Frühstück mit Kaffee! Anschließend wollen wir uns zu Fuß in Richtung Gebirgskette aufmachen, eine Schlucht lockt. Diesmal haben wir verabredet, dass jedeR sein Tempo läuft und wir uns in 3 Stunden wieder am Bus treffen. Leider ist es bedeckt und kühl, aber das soll uns nicht hindern. Wir gehen erst die Piste entlang, dann einen Pfad, der wohl von Eseln und Kamelen getreten wurde, die uns als kleine Karawane auch begegnen. Wir grüßen mit „Salam“ und ernten freundliche Gesichter, Fragen nach Zigaretten und als wir einer Ziegenherde begegnen, bekomme ich das Angebot, ein Zicklein zu kaufen, auf das ich gezeigt hatte, weil es so niedlich war. Das Handy am Ohr des Hirten einer Schafherde kommt uns in dieser abgelegenen Gegend ein wenig absurd vor, zeigt aber letztlich nur, auch hier ist die Zeit nicht stehengeblieben, obwohl es manchmal den Eindruck macht. Wir kommen an ein ausgetrocknetes Flussbett, sehen aufgeschichtete Steinmauern und Feuerstellen der Berber, die hier durchziehen.

Auf dem Rückweg fängt es an zu regnen und als wir den Bus erreichen, sind wir ziemlich nass. Ich nutze die Gelegenheit, mir schnell die sowieso schon nassen Haare zu waschen, es war höchste Zeit!
Mittags sind wir in Rich zum Essen und Einkaufen. Wir entern ein winzig kleines Restaurant, der Inhaber ist einerseits hoch erfreut über so viele Gäste, gleichzeitig aber auch reichlich überfordert. Einige der bestellten Getränke muss er aus einem Cafe gegenüber holen, es gibt – wie üblich – Tagine und Brochettes. Am nächsten Tag ist einigen etwas flau im Magen. Dagegen gibt es von Martin 3 gehäufte Esslöffel Kumin (Kreuzkümmel), die mit viel Wasser heruntergespült werden und Schlimmeres verhindern. Anschließend trennen wir uns, jedeR nimmt einen Einkaufsauftrag mit. Michael und ich sind für Eiernachschub zuständig und verlaufen uns dabei fast im Suk von Rich.

Der Regen begleitet uns weiter auf der Fahrt Richtung Toudra-Schlucht. Tief hängt der Himmel über dem Gebirgsmassiv rechts und links der Straße. Manchmal klart es etwas auf, aber richtig trocken will es nicht werden. Wir nähern uns den Bergen und rechts und links steigen Felsen auf. Eigentlich wollten wir heute noch durch die Schlucht, aber es ist schon 16:00 Uhr und das Wetter lockt nicht wirklich. In Amellago sehen wir Hinweisschilder „Camping“. Wir fahren durch den Ort, fragen beim 2. Anbieter, der für ein Massenquartier pro Person 130 DH haben will. Nein Danke! Wir fahren zurück und landen in einer kleinen, sehr hübschen Herberge, die 3 Zimmer sind genau richtig für uns und eine warme Dusche lockt. Begeisterung kommt auf, als ein Blick aufs Klo ein europäisches Sitz-Klo offenbart und es gibt sogar ein kleines Restaurant – welch‘ ein Luxus. Im Garten findet sich eine überdachte Sitzecke, die wohl sonst vor der Sonne schützen soll, heute schützt sie uns gegen Regen. Martin spielt Gitarre, alle duschen nach und nach und schließlich hört sogar der Regen auf. Es ist übrigens hier in der Gegend der erste Regen seit 2 Monaten. Toll also für die Menschen hier, doof für uns.

Für den Abend haben wir uns beim Wirt Abendessen bestellt. Neben der Wahl zwischen „soup or salat“ gibt es „surprise“, will heißen, er muss mal nachsehen, was die Vorräte so hergeben. Es entpuppt sich als leckere Tagine mit Reis, Tomaten, Oliven und Hackfleischbällchen. Diese Nacht schlafe ich so tief, dass ich nicht einmal den Muezzin hören, der hier besonders „laut und lästig“ gewesen sein soll.

Schnell ist die Nacht vorbei, unsere GastgeberInnen sind früh auf und ziemlich laut dabei. Gegen 7:00 Uhr stehen auch unsere letzten Schlafmützen - zu denen auch ich gehöre - auf, packen alles zusammen, denn der Raum wird ja wieder gebraucht. Zum Frühstück gibt es süßen Tee, Fladenbrot und Sit. Nach dem Frühstück sollen wir die Mine unseres Gastgebers besichtigen, ich bin sehr neugierig. Astrid verabschiedet sich noch mal schnell zum fotografieren. Da es hoch in die Berge geht, ist noch mal Schuhwechsel angesagt und wir gehen kurz zum Bus runter. Aufgehalten werden wir von einer großen Ziegenherde, die vor uns über die Zugbrücke in unsere Richtung wechselt. Um die Tiere nicht zu verscheuchen, warten wir in angemessenem Abstand.

Der Hirte treibt immer wieder kleine Gruppen über die Hängebrücke, so allein trauen sich die Ziegen wohl nicht. Erst nachdem mehr als die Hälfte das andere Ufer erreicht hat, geht es mit einem Mal von selbst. Der Herdentrieb stärkt den Mut – das sieht mensch ja auch manchmal bei den Menschen. Als wir wieder zurück kommen, ist Astrid immer noch nicht wieder da. Langsam beginnen wir uns Sorgen zu machen. Uns wird bedeutet, der Neffe sei mit Astrid schon mal vorgegangen. Quidel und sein Freund führen uns in die steinigen, baumlosen Felsen. Wir steigen auf schmalem Pfad leicht bergan und erreichen nach einigen Biegungen die kleine Kochstelle der Männer, die aus einem alten Blechpott und einem Gasbrenner in einer Felsennische besteht. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu einem Loch in dem Felsen, dem Eingang zur Mine. Es ist dort so eng, dass immer nur eineR zum Gucken einsteigen kann, erst nach einigen Metern wird es breiter, ein Stück blindes Gestein, dann sichtbar funkelnde Mineralienbänder im Gestein. Richtig aufrechtstehen kann mensch nur an einigen Stellen. Es ist ein sehr mühsames und gewiss auch gefährliches Geschäft für die beiden Männer, die hier hauptsächlich Achate suchen.

Astrid bleibt weiter vermisst. Quidel läuft noch ein Stück den Berg hoch, um nach ihr zu schauen. Doch wir treffen sie erst auf dem Rückweg. Sie hat mit dem Neffen die exclusive Führung erhalten, hat weitere größere Minen gezeigt bekommen, sollte noch mit in ein Berberzelt, was sie aber dann doch lieber abgelehnt hat. Sie ist ziemlich geschafft, der junge Mann hatte ein kräftiges Tempo vorgelegt.

Zurück bei unseren GastgeberInnen müssen wir feststellen, dass Melida schon wieder am Kochen ist, zwischenzeitlich backt sie draußen in einem kleinen Verschlag mit Holzofen ihr Fladenbrot. Am Morgen hatten wir ihr noch zugesehen, wie sie auf dem Boden kniend den Teig in einer flachen Holzschüssel geknetet hat. Eigentlich sieht unser Zeitplan ein Essen nicht mehr vor. Wir hatten auch versucht dies zu kommunizieren - wohl vergebens - aber eine Ablehnung kommt natürlich nicht in Frage. 

Da es mit dem Essen erfahrungsgemäß noch dauert, fährt uns Martin hoch in eine Siedlung, die extra für die damaligen Minenarbeiter gebaut wurde und heute vollständig verlassen scheint. Doch Astrid erzählt, sie habe erfahren, dass hier auch immer wieder Menschen leben. Für uns sieht das alles ziemlich unbewohnbar aus, alle Häuser kaputt, selbst die Moschee ist ausgeräumt und verlassen, selbst die Leiter zum Minarett teilweise kaputt. Einige von uns trauen sich trotzdem die Holzstiegen hinauf. Michael und ich sind heute lauffaul, wir schauen einmal in die Moschee, suchen uns dann ein ruhiges Fleckchen am Straßenrand auf einem Stein. Michael ist in zwei Minuten eingeschlafen und ich schreibe – wie in jeder freien Minute – an meinem Reisetagebuch.

Heute gibt es bei Melida Gemüse, das wie gestern mit den Händen gegessen wird. Wieder bekomme ich die Möhren zugeschoben, da hat sich aber jemand was gemerkt. Das Gemüse wird mit Brot gegriffen und dann in den Mund transportiert. Anschließend kommt Melida mit einem Topf Fleisch in Rollen, das sie in Scheiben schneidet und jedem anbietet. Die äußere Schicht sieht nach Lederbändern aus, es könnte aber auch „was auch immer“ sein. Meine Experimentierfreude hält sich bei Fleisch sehr in Grenzen und ich bedeute „satt“, ich hoffe, es wird nicht als unhöflich betrachtet. Michael nimmt sein Stück, steckt es am Stück in den Mund und hat ausnehmend gut mit Kauen zu tun. Andere versuchen es mit auseinander nehmen, Steffi fragt, ob die äußere Schicht essbar sei, Melida nickt, aber ich glaube, so ganz hat sie die Frage nicht verstanden. Unsere Gastgeber langen jedenfalls gern zu. Und aus der Gruppe wird von den Mutigen übereinstimmend festgestellt: in der Mitte hat es nicht geschmeckt, das Äußere war zwar zäh, hatte aber Rindfleischgeschmack und war in kleinen Stückchen durchaus genießbar. … und was es nun wirklich war, werden wir wohl nie erfahren.

Nach dem Essen geht es an die Verabschiedung. Alle umarmen alle und es stimmt mich ein bisschen traurig, dass ich diese fröhlichen gastfreundlichen und toleranten Menschen nie wieder sehen werde. Insbesondere diese Reisestation wird mir gewiss immer in Erinnerung bleiben und hat auch „was bewirkt“. Sie hat es geschafft, meine Prioritäten wieder gerader zu rücken, die Erinnerung an diese Menschen wird mir hoffentlich noch lange helfen, wirklich Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, bei kleinen und größeren Unbequemlichkeiten oder Schicksalsschlägen gelassener zu reagieren – in welchem Überfluss leben wir, meist ohne es zu bemerken und zu schätzen.

Wir fahren zurück, es geht durch die verlassene Minenstadt, dort fassen Steffi und Martin noch mal Wasser für alle. Wir bummeln zu Fuß den Fluss entlang und ich nutze die freien Minuten in der Sonne sitzend etwas Tagebuch zu schreiben. Dazu ist immer zu wenig Zeit und ich bin oft mehr als einen Tag hinterher. An mir vorbei treibt eine alte Frau in bunter Kleidung eine große Herde Ziegen, selbstverständlich eine Berberin, sie sind so viel selbstbewusster und auch selbstständiger als die Araberinnen und haben auch deutlich mehr Rechte. So können sie sich beispielsweise scheiden lassen, haben oft über Haus und Hof zu bestimmen und werden auch in der Erbfolge berücksichtigt.

Die Fahrt geht zurück Richtung Midelt durch die karge steppenähnliche Ebene. Von hier aus steigt die Straße aus der kargen Hochebene Plaine des Arid in den Hohen Atlas. Wir erreichen den Marktort Rich, der lange Zeit der erste Ort nach 5 tägiger Kamelreise durch die Wüste war. Er ist heute Anlaufpunkt auch für Franzosen und Spanier, die mit ihren vier- und zweirädrigen Männer-Spielzeugen auf dem Weg in die Sanddünen der Sahara sind, um dort mit viel Krach und PS durch den Sand zu donnern (können sie derzeit in dem noch „wüstigeren“ Libyen nicht). Heute fahren wir nur durch Rich noch ein Stückchen in Richtung Hoher Atlas. Irgendwann biegen wir von der asphaltierten Straße auf eine schmale Piste um einen Platz für unsere Zelte zu suchen. Und es erweist sich als nicht einfach, hier auf dieser steinigen Ebene. Christian formuliert den Anspruch an Holz für ein Lagerfeuer, aber das sieht nicht so aus, als könnten wir da viel finden. Ein erster Platz wird wieder verworfen, wir fahren noch weiter in Richtung Gebirgskette. Dann erreichen wir ein kleines Plateau, hier wollen wir bleiben. Um die Zelte aufbauen zu können, müssen noch reichlich Steine weggeschoben werden und in der Nacht stelle ich fest, dass wir an einer Stelle geschlampt haben. AUA!
Mitten im Zeltaufbau erleben wir einen spektakulären Sonnenuntergang und als habe jemand das Drehbuch extra für uns dazu geschrieben, kommt auch noch eine kleine Eselkarawane vorbei, das Bild ist perfekt.

Der Abend endet windig und kalt. Wir sitzen gedrängt im Bus, trinken Tee und Gin-Tonic und dann geht’s ab ins Zelt. Für mich wird es eine sehr unruhige Nacht, der Wind zerrt an den Zeltplanen und gibt keine Ruhe.

Morgens, während Michael abwäscht, kommen just zu dieser Zeit alle Frauen aus den Zimmern, sie brauchen dringend auch Wasser aus dem einzigen Hahn auf dem Platz vor der Gästeanlage. Neugierig wird unsere Truppe von allen Seiten beäugt und einige Frauen müssen verdeckt lachen, als sie sehen, dass bei uns auch die Männer den Abwasch machen. Auch wir stehen in der Gegend rum, die Kamera auf Hüfthöhe im Anschlag. In Marokko ist es besser verdeckt zu fotografieren, viele Menschen mögen es nicht. Daher heißt es entweder fragen oder so fotografieren, dass es keineR merkt. Weiter geht die Reise durch die endlose Steinwüste. Am Horizont müssten wir eigentlich den mittleren Atlas sehen können, aber es ist ziemlich diesig und wolkenverhangen. Einige der Wadis sind mit etwas Wasser gefüllt, ein Zeichen, dass es in den Bergen kräftig geregnet hat. Steffi: „Wir waren hier ja schon, aber wir wollen nicht zuviel erzählen, damit wir keine falsche Erwartungshaltung bei Euch wecken.“ Wir drängeln, wir wollen was hören, zu sehen ist im Moment meist das gleiche: Steine. Also erzählen die beiden, dass sie ungefähr hier an dieser Stelle eine Wanderung in die Wüste gemacht haben und eine Kamelherde getroffen haben.

Wir fahren über den nächsten Huckel und was sehen wir? Eine Kamelherde, mit einem Bullen, diversen Kameldamen mit Babies und dazu ein Schwung Halbstarker! Natürlich wird angehalten und alle möchten möglichst gleichzeitig aus dem Bus. Langsam und vorsichtig nähern wir uns der Herde, wir wollen sie ja nicht verscheuchen. Doch anstatt wegzulaufen, kommt sie auf uns zu. Erst wundern wir uns, aber dann sehen wir, dass der Hirte die Herde auf uns zutreibt. Offensichtlich ist er genau so neugierig wie wir auch. Der Hirte ist ein Junge, höchstens 15 Jahr alt. Er hat leider schon sehr harte Gesichtszüge und schaut uns misstrauisch an. Steffi sucht Kleider aus dem mitgebrachten Fundus in seiner Größe und findet einen tollen Fleecepulli. Ein Strahlen geht über sein Gesicht und das Kind kommt wieder durch.  Eigentlich soll er noch ein paar Schuhe bekommen, er läuft hier in diesem unwegsamen Gebiet in Badelatschen rum, doch leider haben wir nichts in seiner Größe dabei.

Gegen Mittag erreichen wir die ehemalige Bergwerkstadt Midelt. Sie liegt am Fuß des schneebedeckten Ayachi-Massivs (3737 m). Hier kaufen wir wieder Gemüse, Obst, einen halben Truthahn und anderes ein, wir wollen es mit nach Aoli nehmen, wo wir in einer Berberfamilie zu Gast sein werden. In Midelt gibt es in fast allen Restaurants gebratene Hähnchen im Angebot, da greifen wir doch zu. 

Hinter Midelt fahren wir an der für unsere Verhältnisse „wilden“ Müllkippe vorbei. Aber der Müll liegt dort schon länger und so schauen nur noch Fahnen von weißem, gelbem, rotem Plastik aus der Erde hervor. Ziegen, Vögel und Insekten haben alles Biologische längst verwertet. Hier könnte recht sauberes Plastik gesammelt werden, erzählt Michael, der die Erfahrung dazu aus seinem Ägyptenprojekt hat. Für „reine“ Plastikware zahlt China derweil eine Menge Geld. Später sollen wir an einer anderen Kippe auf diese Sammler treffen. Diesmal sammelt Michael, aber nicht Plastik sondern eine „Trophäe“. „Ein Büffelkopf“, ruft er, als wir an der Deponie vorbeifahren. Bis es vorn bei Martin am Steuer angelangt ist, vergehen rund 200 m. Martin glaubt es zwar nicht, setzt aber trotzdem zurück. Auf den meist autofreien Straßen Marokkos geht das problemlos. Und hier kommen wir sowieso langsam in eine Gegend, in der wir mehr Esel als Autos sehen werden. Michael hat richtig geguckt: Ein  skelettierter Büffelschädel mit ein bisschen Fell im Stirnbereich. Martin holt ihn und ist schwer begeistert. Das soll unser neues Kühlertier werden. Bisher hing am Kühlergrill ein Ziegenkopf aus Korsika. Einige Stunden später wird Martin den Büffel festgeschnallt haben und ab dann zeichnet uns ein neues Fahrgefühl aus: wir sehen in lachende, ungläubige und erstaunte Gesichter, egal ob männlich oder weiblich, ob Kind oder Greisin. Sie zeigen mit dem Finger hinter dem Bus her, erzählen dem Nachbarn davon – wir haben viel Spaß damit.

Von Midelt aus geht es Richtung Moulouya-Schlucht. Die Fahrt führt durch fossiles Gebiet und in einer Pause gehen alle mit Feuereifer auf die Suche, Blickrichtung gen Boden und es gibt reichlich Beute: Versteinerte Schnecken, Stängel und Blätter und vieles „das was sein könnte, oder auch nicht“.

Die Berge werden schroffer und wir erreichen die Moulouya-Schlucht. Hier wurde bis in die sechziger Jahre silberhaltiges Bleierz abgebaut. Nun sind die Anlagen verlassen – sagt der Reiseführer. Verlassen? Schon beim Einfahren auf der staubigen Piste sehen wir links im Fluss einige Männer mit einfachen Schnüren angeln. Weiter flussaufwärts hocken zwei Männer im Fluss und waschen Gestein aus, ganz so wie wir es aus den Italo-Western kennen. Weiter führt uns der Weg an den verfallenen Anlagen vorbei. Martin erzählt, dass er hier einen Freund treffen könnte, Mohra, der nur noch einen Zahn sein eigen nennt. Kaum sind wir in Aoli eingefahren, steht Mohra mit den einzigen anderen Touristen außer uns auf der Straße. Als Mohra Martin erkennt, lässt er seine eventuellen Kunden einfach stehen und begrüßt Martin voller Freude. Wir werden auf den üblichen Tee eingeladen. Dafür richtet Mohra extra Teppiche, Felle und Kissen auf der Veranda vor seiner Wohnung für uns her. Wir trinken unseren Tee und Mohra stopft sich dazu seine „Kif“-Pfeife. Zwar ist der Handel mit Kiff (arabisch für Haschisch) auch in Marokko verboten, trotzdem rauchen viele Männer überall öffentlich ihre Kif-Pfeifen, auch in den Cafés in den Städten. Und jetzt wissen wir auch endlich. woher der Ausdruck „kiffen“ kommt.

Mohra ist bei näherem Hinsehen noch gar nicht so alt, wie sein einziger lang gewachsener Zahn vermuten lässt. Er verdient sein Geld mit dem Verkauf von Steinen und wir kaufen ihm für rund 100 DH 3 schöne Steine ab. Ich bin sicher, sie sind es nicht wert, aber ich bin auch sicher, er kann das Geld gut gebrauchen. Er holt eine alte Zeitung um die Steine einzuwickeln und uns schaut Angela Merkel an – es ist eine Ausgabe von 2010, von einem Besuch Merkels in Marokko. Wir radebrechen hin und her, weil wir wissen wollen, worum es bei dem Artikel geht. Wir vermuten, es waren die Einreisebestimmungen für NordafrikanerInnen, sind uns aber nicht ganz sicher. Aber wir haben ein bisschen arabisch dazu gelernt: „kif kif“ hat nichts mit dem eben erwähnten Rauchgenuss zu tun, sondern könnte mit „so und so“ übersetzt werden.

Anschließend geht die Fahrt über eine recht abenteuerlichere Piste weiter. Einmal müssen wir aussteigen und Martin „opfert“ sich für uns. Er fährt den Bus über eine aus Holzplanken bestehende Brücke, die so gar nicht vertrauenserweckend aussieht. Tatsächlich poltert der Bus zwar unversehrt über die Brücke, aber die Holzbohlen schlackern teilweise lose auf der Unterlage. Ca. einen Kilometer vor unserm heutigen Ziel steigen wir noch mal aus und gehen den Rest zu Fuß. Das hat auch den Vorteil, dass  Martin und Steffi dort erstmal vorwarnen können, dass wir gleich nachkommen. Wir wandern den staubigen Weg entlang und erreichen ein winzig kleines Berberdorf, bestehend aus Lehmbauten. Die ersten beiden Häuser haben kleine Solarpanelle auf dem Dach und Satellitenschüsseln. Das Dorf wird im hinteren Teil noch mal durch einen kleinen Fluss geteilt. Wir erreichen den Bus, der derweil von vielen Kindern und Frauen umringt ist. Steffi teilt fleißig Kinderkleidung aus, achtet darauf, dass jedeR was abbekommt und Michael, Hartmut und Christian bringen mitgebrachte Kulis unter die Kinder, die als „Stilos“ heiß begehrt sind.

Martin hat derweil seine Dorfbekanntschaft erneuert. Er war hier schon mal vor einigen Jahren. In dieser Zeit hat er auch unsere Gastgeberfamilie kennengelernt. Damals war der ältere Sohn Mohamed krank, er hatte schon seit Tagen hohes Fieber und der Vater war zu Fuß losgegangen, um Aspirin zu holen. Martin hat den Jungen ins Krankenhaus gefahren und gilt dort nun als Retter. Entsprechend groß war die Freude auch bei dem kleinen Mohamed, derweil wohl so um die 10 Jahre alt und seiner Familie. Martin war schon mal mit einer Gruppe in Aoli und einige Familien im Dorf reißen sich darum, uns aufzunehmen. Diesmal sind die Eltern von Mohamed „dran“, obwohl Quidel und Melida sehr beengt auf der anderen Seite des Flusses wohnen, haben sie es sich sehr gewünscht. Wir schultern unser Gepäck und los geht es durch das Dorf und über eine stabile Hängebrücke. Etwas verlegen stehen wir vor der einfachen kleinen Lehmhütte, werden aber energisch herein gewinkt. Wir ziehen im dämmrigen Flur die Schuhe aus und betreten das einfach eingerichtete Wohnzimmer der Familie. Der Lehmboden ist mit schönen Teppichen bedeckt, bunte Kissen lehnen an der Wand. In einer Ecke steht eine kleine Kommode mit einem Gaslicht. Ein kleines Fenster mit verziertem Gitter und einer Plastikplane anstatt einer Glasscheibe gibt ausreichend Licht. Wir nehmen auf den Teppichen Platz und werden gleich mit Tee bewirtet. Dazu reicht Melida selbstgebackenes Fladenbrot und Sit (Öl). Quidel und Melida freuen sich sehr, dass wir ihre Gastfreundschaft angenommen haben. Melida wird heute für uns kochen, Zutaten haben wir hoffentlich reichlich mitgebracht, so dass es auch darüber hinaus noch für die Familie reicht. Viele Stunden später wird das Couscous mit Gemüse und Fleisch fertig sein. Melias Küche ist ein kleines Eckchen am Ende des schmalen Flurs. Arbeitsplatte ist der Lehmfußboden, auf einer kleinen Kommode an der Wand steht ein 2-flammiger Gasherd, gespeist von einer Gaskartusche. 

Natürlich hat es sich auch unter den Männern herumgesprochen, wer bei Quidel zu Gast ist und so ist nicht nur Quidel selbst da, sondern ein Arbeitskollege, mit dem er gemeinsam eine Miene hat und dessen Neffe, ein junger aufgeschlossener Mann, der schnell mit uns in Kontakt kommt. Nachdem Melida mit den Vorbereitungen fertig ist – ich habe noch nie eine Frau so schnell Gemüse putzen und schneiden sehen – kommt sie auch zu uns, hockt sich nieder und beteiligt sich an den allgemeinen Kommunikationsversuchen. Wir machen eine Namensrunde, aber unsere Gastgeber können sich die wenigsten Namen merken. Nur bei Michael klappt es, als er sich vorstellt, rufen die Männer gleich „Ballack“ hinterher. Irgendjemand kommt dann auf die Idee, uns arabische Namen zu geben. Steffi wird Fatima, Astrid Nora, Karin Hannah und ich Naima, Michael wird wie Allerortens Ali Baba genannt. Es wird getrommelt – auf einer Plastikschüssel und dem Servierblech, getanzt und gelacht, Martin holt seine Gitarre und alle lauschen andächtig. 

Unser Gastgeber kommt mit der Plastikschüssel, einem Wasserkessel und einem Handtuch zum Händewaschen. Nacheinander werden die Hände aus dem Kessel bespült und dann wird das Handtuch zum Abtrocknen gereicht, so haben alle (halbwegs) saubere Hände. Ein zweiter kleiner runder Tisch wird hereingetragen und Melida tischt das Essen auf zwei großen Platten für immerhin derweil 15 Personen auf. Auf einer Grundlage von Couscous ist Gemüse und in der Mitte Fleisch angerichtet. Gegessen wird mit der rechten Hand, es wird ein Häppchen Couscous mit den Fingerspitzen gegriffen, in der Handfläche zu einem Bällchen gerollt und dann in den Mund „geworfen“. Wir stellen uns natürlich nicht sonderlich geschickt an und so werden wir mit Bällchen von unseren GastgeberInnen „gefüttert“, die zur Erheiterung aller immer größer werden. Ganz wie es Sitte ist, werden uns die besten Stücke zugeschoben. Da ich es nicht so mit den Kohlehydraten habe, habe ich etwas verstärkt bei den Karotten zugegriffen, das wurde sofort bemerkt und daraufhin wurden mir immer wieder Karottenstückchen zugeschoben. Sehr aufmerksam! 

Nach dem Essen – wohl so gegen 22 Uhr – richten wir langsam den Raum für uns zum Schlafen zurecht. Das Tischchen mit den Tellern stellt Melida einfach nach draußen vor die Tür und schon ist Platz für unsere 8 Isomatten – aber gerade so eben. Vorher stellt sich insbesondere für uns Mädels noch mal die Frage nach dem WC. Melida führt uns nach draußen, geht 10 m über den Hof und verschwindet mit uns zwischen zwei Mauern, der Fußboden ist mit Stroh und Schafmist bedeckt. Sie bedeutet uns, hier sei das Klo, indem sie einfach die Röcke hebt und sich niederlässt. Wir machen es ihr nach, Gemeinschaftspinkeln am Abend, etwas ungewöhnlich, ist das doch „bei uns“ eher eine männliche Veranstaltung. 

Alle krabbeln unter ihre Schlafsäcke, wir löschen die Gaslampe und schnell kehrt nach einigem Geraschel Ruhe ein.