3:46 Uhr, das Telefon klingelt: „Sorry, aber wir brauchen Euch. In Harlingen wird geräumt“. So fängt mein Tag doch reichlich früh an, nachdem ich auch nicht so sehr früh ins Bett gekommen bin. Duschen fällt aus, es eilt. Und ab 4 Uhr wird geshuttelt, was das Zeug hält. Müde BlockiererInnen freuen sich, dass sie nicht noch viele Kilometer bis Hitzacker latschen müssen und lassen sich gern von uns fahren. Auf unseren zahlreichen Shuttletouren passieren wir immer mal wieder den martialisch bewachten Streelzer Kreisel bei Hitzacker. Das hat schon seinen Grund, denn im letzten Jahr war er von einigen Treckern kurzerhand dicht gemacht worden und hatte damit den Polizeinachschub aus Lüneburg und Lüchow zum Erliegen gebracht. Umso erstaunter sind wir morgens gegen 8 Uhr, ihn „schutzlos“ vorzufinden. Michael nimmt dies zum Anlass, das Radio Freies Wendland darüber zu informieren und um Trecker zu bitten. Als wir am Nachmittag den Kreisel passieren wollen, kommt es zum Stau. Vier zufällig hintereinander fahrende Traktoren werden jeweils einzeln mit Polizeischutz über die Kreuzung geleitet.

Vormittags, so gegen 9 Uhr geht der Shuttlebedarf zurück und wir fahren in unser Quartier, frühstücken und hoffen auf ein bisschen Schlaf – gibt es auch - aber eben nur ein bisschen. Schon gegen 12 Uhr klingelt das Telefon wieder. „Der Kessel in Harlingen wird aufgelöst, könnt ihr bitte ...“ Und weiter geht es, aber dann noch nicht nach Harlingen, sondern auf Bitte des EA (Ermittlungsausschuss) zur GESA (Gefangenensammelstelle) in der Polizeikaserne in Lüchow. Dort werden die ersten Gefangenen auf richterliche Verfügung wieder entlassen und möchten zu ihren Autos in Harlingen zurück. Hier werde ich daran erinnert, wie es mir 2003 ging, als wir morgens kurz vor 5 Uhr im Wald bei Uelzen, wohl zu nah an der Bahnstrecke, „Pilze sammeln“ wollten und schwupp die wupp erst im Polizeikessel und dann in der GESA, damals noch in Neutramm, landeten. Ich verstehe also sehr gut, warum unsere Fahrgäste doch einen ziemlich reduzierten und gedrückten Eindruck machen. Unter anderem auch deshalb macht sich meine Tochter jedesmal Sorgen, wenn ich zu den Castortransporten ins Wendland fahre. "Mama, passt auf dich auf und lass' dich nicht wieder einsperren!"
Als wir dann endlich nach Harlingen kommen, sind viele Leute schon wieder weg – aber eben nicht alle und so nimmt beispielsweise auch Stefan Wenzel, Fraktionschef der niedersächsischen Grünen unser Shuttleangebot an und lässt sich von uns einige Kilometer fahren. Danach wird es auf den Straßen von Harlingen eng. Immer wieder kommen uns Kolonnen von Polizeifahrzeugen entgegen, die die Straße blockieren und sich gegenseitig im Weg rumstehen. Die meisten Demonstranten sind derweil schon weg und so übenehmen wir es, nasse Demostrohsäcke, Decken, kalte Suppe und Fruchtsaft vom Infopunkt Harlingen nach Gedelitz zu fahren, dem Camp von X-tausendmal-quer bei Gorleben. Da ich mir mit vielen Strohsäcken im Auto die Polizeikontrollen sparen will, fahren wir den Umweg über Lüchow und kommen kontrollfrei durch. Nur kurz vom Gasthaus Wiese steht eine Polizeikontrolle, doch die sind sehr nett und lassen uns schnell durch. Wir laden aus, laden dafür 3 müde junge Menschen ein, die eigentlich am liebsten von uns nach Hamburg gefahren würden, aber Dannenberg Essowiese muss reichen. Diesmal wollen wir über die Castorstraßenstrecke Süd zurückfahren. Prompt kommen wir in die Kontrollen, werden dann - dank Fraktionsbus und Bundestagsausweis – eskortiert von 2 Polizeibussen bis hinter Spittal begleitet und mit leichtem bayrischen Dialekt verabschiedet: „Ich verkrümel mich jetzt und ihr könnt hinfahren wo ihr wollt.“
21:30 - Der Castor fährt langsam Richtung Harlingen. Aber die Schiene ist in Hitzacker weiterhin von der bäuerlichen Notgemeinschaft blockiert. Sie haben Pyramiden aufgebaut, in denen Bäuerinnen und Bauern gut versteckt nach dem Babuschka-Prinzip angekettet sind, die Polizei ist hilflos. Das Gerücht geht, dass der Castor bei Harlingen „übernachten“ will. Wir werden sehen, was die Nacht bringt.