Heute war der lang ersehnte „Mauertag“. Um 6 Uhr klingelte der Wecker. Weil wir so früh dran sind, lernen wir, dass die chinesische „Nachtschicht“, im Aufenthaltsraum schläft. Der Diensthabende muss noch schnell seine Nachtwäsche zusammenpacken, als MB dort ankommt

Über unseren „Mauertag“ haben wir länger nachgedacht und ein bisschen rumgesucht. Es gibt kleine Touristenbusse, die karren einen dahin, eine Tages-Taxi-Tour kostet um die 1.000 Yuan (rd. 120 €). Dann mussten wir noch noch entscheiden, an welchen Mauerabschnitt es gehen soll, Mauer komplett restauriert, mit Seilbahn und Rutsche; ein etwas steilerer Anstieg oder das „Verlorene Dorf“, das von der Mauer getrennt wird.

So nach und nach haben wir uns als erstes für Gubeikon, das verlorene Dorf, entschieden, das früher mal eine wichtige Grenzstadt war. Dann haben wir uns gegen „Rudel“ entschieden. Rausgekommen ist, dass der Bus 980 mit dem Expresszeichen nach Miyun geht (100 Minuten) und dann der Bus 25 nach Gubeikon (70 Min.)

Alles klappt auch prima. Der 980-er startet am Busbahnhof Dongzhimen – da waren wir schon und ab dort geht auch die Subway zum Flughafen. Unterwegs sehen wir sehr viele neu gepflanzte Laubbäume, die in der Regierungszeit von Präsident Xi Jiping gepflanzt wurden, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen – eco-civilisation – wie wir es auf dem workshop gelernt haben.

In Miyun klemmt es erst, weil der Reiseführer beschreibt, die Bushaltestelle für den 25-er sei auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Eine extrem aufdringliche Taxifahrerin wollte uns einerseits ihr Taxi anbieten, hat uns aber andererseits per Translation App erklärt, dass der 25-er an der gleichen Stelle abfährt, wo wir eben ausgestiegen sind, aber sooo lange braucht. Wir wollen aber Bus fahren und haben dann etwas auf den 25-er gewartet.

In Gubeikou angekommen sollte mensch doch glauben, dass die Attraktion des Ortes, die ja auch Eintritt kosten sollte, irgendwo ausgeschildert wäre, doch weit gefehlt. Nix, aber auch gar nix. Also sind wir „auf Sicht“ gelaufen. Nach links über den Fluss Richtung Mauerabschnitt „Hockender Tiger“, der als extrem steil beschrieben wurde. Wir liefen und liefen, über eine dicke Baustelle, wo gerade die Straße zur neuen Railway-Station Gubeikou fertiggestellt wurde. Bis an diese im Bau befindlichen Station sind wir gelaufen, die Tigermauer im Blick, aber eben nur im Blick. Kartenhäuschen oder ein Weg dorthin – Fehlanzeige! Wahrscheinlich plant hier die chinesische Regierung einen Touristenbahnhof mit Seilbahn auf den Kopf des Tigers (denken wir uns so).

In diese Richtung geben wir jetzt auf, haben aber den Berg des hockenden Tigers gesehen und buchen das unter Erfolg ab. Jedenfalls tun wir so…. Wir laufen durch die Baustelle zurück und schon ist die erste der von uns bis zur Rückfahrt kalkulierten 3,5 Stunden weg.

An der Hauptstraße angekommen, gehe ich in ein öffentliches Klo. Hier ein kleiner Exkurs:

Öffentliche Klos gibt es hier in China ohne Ende und überall. Darüber haben wir uns sehr gewundert, weil wir die auch überall in den Hutongs fanden. Dann kamen wir dem Geheimnis auf die Spur. In vielen Häusern in den Hutongs gibt es keine eigene Kanalisation und daher auch kein Klo. Um dem hygienisch entgegen zu wirken, sind alle naslang öffentliche Klos zu finden. Gewöhnungsbedürftig, weil mit Loch im Boden, keine wirkliche Trennwand zwischen den Klos und ohne Klopapier, aber trotzdem auch für Touristen wie uns nutzbar.

Doch zurück zur Mauer: Wir laufen entlang der Straße ortsauswärts. Dort hat mir meine Karten-App noch Wege Richtung Mauer gezeigt. Keinen dieser Wege gehen wir „ernsthaft“ rein, es steht da ja kein Schild dran. Nachdem wir weit über das Ortsende hinaus sind und nichts in Sicht ist, kehren wir um. Michael hat eigentlich keine Lust mehr, möchte zurück zur Bushaltestelle, dort hatte uns ein Taxifahrer erstaunlich sanft angesprochen. Vielleicht könnte der uns zur Mauer bringen, so seine Hoffnung.

Doch ich möchte noch einen Versuch wagen. Ein Weg Richtung Mauer „Der gewundene Drache“ sieht von außen nach nix aus, auf meiner App geht er zumindest in die richtige Richtung. Also versuchen wir es noch mal. Wir gehen durch eine Straße mit sehr dörflichem Charakter, Gänse laufen draußen rum, am Wegrand ein relativ enger Hühnerstall, aus dem wohl auch schon einige Hühner ausgebüxt sind, die jetzt frei herumlaufen. Die Pflasterung der Straße geht in Lehm über und bald verlassen wir das Dorf und laufen an Feldern vorbei. Am Rande stehen in Bunden zusammengefasste Maishalme, die im Winter als Brennmaterial dienen. Das hatten wir auf unserem Workshop erfahren. MB hatte dort auf eine diesbezügliche Frage geantwortet, dass es energetisch und für das Klima viel besser ist, die Maisreste in einer Biogasanlage zu verwerten.

Wir laufen weiter den Weg – app-mäßig in Richtung Mauer -, bis er an einem Schuppen endet, links davon ein Stall mit 2 Gänsen und etwas höher rechts am Hügel ein bellender Hund an einer Kette. Sch…, das soll es gewesen sein??

Ich frage noch mal meine App. Die verweist mich auf einen Wanderpfad, den wir noch gar nicht so recht zur Kenntnis genommen haben: zwischen Gänsen und Hund führt rechts der Pfad einen Hügel hoch. Die App verweist auf die Mauer und: FREE!

Wir überlegen kurz und sind uns einig, wir gehen mal los und sehen, wie es weiter geht. Vielleicht können wir noch einen Blick auf den gewundenen Drachen werfen. Und der Hund an der Kette ist auch kein Held. Als wir näherkommen, verkriecht er sich in seiner Hütte.

Anfang geht es recht steil, aber schnell etwas weniger steil hoch. Zwischendurch immer mal wieder tolle Blicke auf die Mauer. Na, Glück gehabt, wenn wir schon nicht draufkommen, so sehen wir sie wenigstens noch mal. Michael träumt davon, dass es an der Mauer noch parallele Pfade gebe – so sähe es aus. Ich habe eher das Gefühl, zwischen uns und der Mauer ist bestimmt noch ein tiefes Tal mit blödem Abstieg und anstrengenden Aufstieg.

Doch es kommt anders. Relativ beschaulich geht es rauf und runter und nach einer Kurve stehen wir schon fast an der Mauer. Eine kleine Kletterei und wir haben sie erobert. Welch ein tolles Gefühl!!

Wir machen Fotos, gehen einen kleinen Abschnitt und sind vollständig allein auf diesem grandiosen Bauwerk. Nach einer Weile sehe ich dann weit entfernt an einem Feuerturm eine weitere Gestalt – mehr aber nicht.

Leider können wir nicht sehr lange bleiben, der letzte Bus fährt um 16:45 Uhr und es braucht seine Zeit, bis wir an der Bushaltestelle in Gubeikon sind. Also machen wir uns gegen 15 Uhr wieder auf den Weg zurück. Wir erreichen pünktlich den Bus Nr. 25 nach Miyun.

Im Bus erleben wir immer wieder, dass wir angestarrt werden, weil „Langnasen“ anders aussehen. Im Bus 25 sitzt uns ein „dickes Kind“ gegenüber, vielleicht 12 Jahre oder so, das uns unentwegt anstarrt; mal Michael, mal mich. Der hat bestimmt zu Hause gut zu erzählen 😉. Vor lauter Aufregung hat er die ganze Zeit mit seinem Kuli geschnippst und hat dadurch ganz schwarze Finger bekommen und in der Folge auch einen schwarzen Strich an der Stirn.

Die Rückfahrt verläuft unspektakulär. Nur beim 2. Bus von Miyun nach Beijing, da haben wir kein Kleingeld. Der „Wärter“, der immer neben dem Fahrer dabei ist, winkt uns erstmal rein und ein Fahrgast wechselt für uns. Also auch hier alles prima.

Vor dem Abendessen ist noch ein Weg notwendig. Das von Michael erstandene Plakat von Mao ist uns abhandengekommen. Wir vermuten, dass ich es in einem Restaurant liegen gelassen habe. Also muss die Übersetzungs-App noch mal ran, die uns zumindest mit Ein-Wort-Sätzen auf der Busfahrt gute Dienste geleistet hat. Ich frage im Restaurant nach, aber dort wissen sie nix und haben nichts gefunden – oder schon als Altpapier entsorgt.  Schade! Also muss ich morgen wohl noch mal in den sauren Apfel beißen und den Antikmarkt besuchen. Michael wollte eh dort noch mal hin.

Wir nehmen diesmal ein Restaurant an der Hauptstraße, direkt bei der Einmündung unserer Hutong-Straße Longsi Liutiao. Die Karte ist relativ fischlastig, doch das trauen wir uns nicht? … oder wollen nicht?

Ich finde süß-saures Schweinefleisch und Michael was mit Cashew-Kernen – dachte er jedenfalls. Keine Kerne im Essen, aber sehr sehr seltsames Fleisch. Ich probiere ein Mini-Stückchen und winke ab, nicht mit mir. Michael isst es tapfer und tunkt es in scharfe Sauce, dann sei es nicht so „laff“. Ich frage nachher „Leo“ nach der Übersetzung des Wortes hinter den Cashew-Kernen, bekomme die Übersetzung „Lefzen“, ach, das wollten wir dann doch nicht so genau wissen.

Heutige Fitnessbilanz: Schrittrekord, aber viel weniger brennende Sohlen als sonst Wir sind halt nicht so viel Pflaster, sondern auch weichen Boden gelaufen.