Wir packen die Koffer, weil wir nach dem Workshop in ein anderes Hotel wechseln wollen, das wir von zuhause aus für uns gebucht hatten. Die Mitarbeiterin der RLS wollte uns das eigentlich ausreden, weil die CPS für die nächste Nacht noch das Hotelzimmer bezahlt hat, aber das Vorzeige--CPS-Hotel ist nicht „unseres“ und wir wollen ins „echte“ China. Wir sind mit einer Staff der CPS verabredet und geben daher gegen 8 Uhr unsere Hotelcards an der Reception ab. Aufgeregtes Chinesisch begleitet diesen Vorgang. Da sie uns aber nicht ansprechen, stellen wir uns etwas abseits und warten auf unser pick-up. Diesmal werden wir nicht mit einem VIP-Bus abgeholt, sondern von einem SUV mit 6 Sitzen, der uns auf den Campus der CPS-Hochschule fährt.

Da wir dort zu früh ankommen, bekommen wir einen Rundgang über den Campus spendiert. Teile der Architektur sind dem Sommerpalast nachempfunden, wie uns stolz erklärt wird. Und der Campus ist wirklich sehr beeindruckend. An einem künstlichen See fotografiere ich schwarze Schwäne. An diesem See liegt die Rekonstruktion eines historischen Schiffes, auf dem sich Mao irgendwann mit irgendwem getroffen hat. Konkreter wird es nicht oder ich verstehe das chinesische Englisch nicht und hoffe darauf, dass MB Bescheid weiß – tut er aber nicht. 😉. Egal: Das Boot ist hübsch und historisch auf einem Foto dokumentiert. Unterwegs fotografieren wir im Park die Büsten von Marx und Engels sowie von Mao im Park. 

Dann wird es Ernst – der Workshop fängt an. Schon an den Türen werden wir von Staffs in die richtige Richtung gewiesen, die Fahrstuhltüren werden für uns aufgehalten und wir werden insgesamt „gepampert“.

Der Workshop beginnt mit einem Statement des KP-Sekretärs, mit dem wir schon gestern auf der Exkursion waren und einer Einführung von Jan für die RLS. Durch die Beiträge der chinesischen Referent*innen zieht sich der Beschluss des KP-Parteitages 2018, auf der Präsident der VR China Xi Jinping verkündete: „Die 5. Säule der chinesischen Entwicklung ist die Öko-Zivilisation.“  Das hat konkrete Auswirkungen auf das Land. Dreckschleudern wie Stahlwerke im Norden wurden geschlossen, in Beijing fahren (neben vielen Autos) nur noch E-Roller/Mofas.

Die Öko-Zivilisation ist zeitlich eng getaktet. Bereits 2020 soll der alternative Energieanteil 30% betragen, 2050 soll die VR China zu 100% mit erneuerbarer Energie leben. 

Als deutscher Referent berichtet Rainer L. über Modellprojekte und die Entwicklung der Landwirtschaft in Mec-Pom.

Während der Vorträge nimmt meine Unruhe zu – nicht, weil ich nachmittags dran bin -, sondern weil es die Mitarbeiterin der RLS nicht schafft, unser neues Hotel zu erreichen. Sie sollte dort Bescheid sagen, dass wir später kommen. Sinnigerweise hat mein I-phone kein Netz, so dass ich den chinesischen Namen des Hotels nicht finde. Aber später wird alles gut.

Prof. LI Hei vom chinesischen Umweltministerium weist darauf hin, dass nur eine globale Öko-Zivilisation die Klimakatastrophe verhindern kann. Er merkt an, dass China das Pariser Klimaschutzprotokoll unterzeichnet hat, die USA unter Präsident Trump dagegen nicht. Der Hinweis auf die notwendige globale Ökozivilisation ist für Michael die Vorlage für die Klimaapokalypse in seinem Vortrag.

Besonders beeindruckend war der Vortrag eines alten Professors, der das Leben auf dem Lande als „Gold der chinesischen Gesellschaft“ bezeichnete, sich auf Konfuzius berief und diesen posthum als Vorläufer von Marx und Engels bezeichnete.

Ein weiterer chinesischer Professor von der CPS-Akademie geht mit der chinesischen Industriepolitik  der letzten Jahrzehnte, die sich nicht um die Umweltauswirkungen gekümmert hat, hart ins Gericht und lobt im Gegenzug die Initiative von Präsident Xi Jiping für eine Ökozivilisation.

Michael macht in seinem Vortrag auf die Konsequenzen des Klimawandels extrem aufmerksam und zeigt Beispiele einer verfehlten Energie- und Umweltpolitik aus der EU (Erdgasfracking, Glyphosat) auf, die als potentielle Alternativen auch in der VR China diskutiert werden. Sein Vortrag beginnt zunächst mit deutschen slights, bis jemand eingreift und dafür sorgt, dass die chinesische Übersetzung an die Wand geworfen wird. Dank der Hilfe der sehr gut sprechenden Übersetzer*innen klappt danach alles auch mit den chinesischen slights. In der Abschlussdiskussion erntet er dafür ein „Lob“ für die kritischen Anmerkungen aus Niedersachsen.

Ich habe u.a. aufgezeigt, dass der von uns favorisierte Ökosozialismus und chinesische Ökozivilisation sich sehr ähneln, dass es aber neben einer technischen Innovation auch eine intensive Einbeziehung der Bevölkerung bedarf. Ich beschreibe das deutsche System der Bürgerbeteiligung mit seine vielen Facetten und schlage dann einen Bogen zum Biolandbau, der unter bestimmten Bedingungen durchaus in der Lage sein kann, die Weltbevölkerung bis 2050 zu ernähren. Das allerdings bedarf einer Umstellung im Konsum, insbesondere im Fleischkonsum und da kann mensch Deutsche und Chinesen locker in einen Topf werden, sie futtern ungefähr gleich viel Fleisch pro Kopf.

Das griffen die 2 NGO-Vertreterinnen – SHI Yan von der Bio-Kooperative und YANG Jing vom Recycling-Dorf -  auf, die wir bereits gestern auf der Exkursion kennengelernt hatten. Insbesondere die promovierte Bäuerin kritisierte offen die offizielle chinesische Politik, die in den Vorjahren zu eindeutig großindustrielle Projekte gefördert habe. Interessanter Weise applaudierte der KP Sekretär bei ihren Ausführungen sehr deutlich und machte in seinem nachfolgendem Redebeitrag klar, dass sich dies - die Konzentration auf die großindustrielle Landwirtschaft - in der beginnenden Periode der Ökozivilisation grundsätzlich ändern werde.

Die Vertreterin der 2. NGO aus dem kleinen Recycling-Dorf (rd. 2.000 Einwohner*innen) zeigte auf, wie mit einfachsten Methoden die gesamte Bevölkerung für diesen konkreten Schritt einer Ökozivilisation mitgenommen werden kann. Sie blieb allerdings die Antwort schuldig, wie ein solches Modellprojekt, dass bereits in etlichen gleichgroßen Dörfern Nachahmer*innen gefunden hat, auch in größeren Orten bis hin zu Millionenstädten wie z.B. in Shanghai modifiziert umgesetzt werden kann.

Der Dolmetscher hat mich im Anschluss in der Pause übrigens dafür gelobt, dass ich in meinem Vortrag klar und deutlich gesprochen hätte – das werde ich meiner Kollegin erzählen, die selbst oft als Dolmetscherin arbeitet und mir vorher noch mal ins Gewissen geredet hat, darauf zu achten.

Den Abschluss des Workshops bildete ein sehr formales Dinner mit dem obersten KP-Chef von Beijing im Restaurant des Campus. Sowohl die chinesische als auch die deutsche Seite stellten übereinstimmend fest, dass es ein erfolgreicher Workshop gewesen sei, der auf weiteren Veranstaltungen fortgesetzt werden solle. Als die chinesische Politprominenz Marx und Engels lobte, musste MB ergänzend auf Mao verweisen. Auf dessen Zitat von den 1.000 Ideen hatte er schon bei seinem Vortrag mit der mitgebrachten „Mao-Bibel“ von 1971 verwiesen, was positive und/oder amüsierte Reaktionen hervorrief.

Während des Essens stand der chinesische KP-Chef in strenger Hierarchie auf und stieß zunächst mit uns einzelnen deutschen Referent*innen, dann mit den anderen Funktionären und abschließend mit den Dolmetscher*innen jeweils mit einem Glas Wein an. Die noch anwesenden Staffs saßen nebenan am „Katzentisch“. Das Dinner bestand aus mind. 8 Gängen, die aber gegen jegliche chinesische Tradition einzeln für jeden Gast serviert wurden. In der Nachbetrachtung vielleicht ein erster Versuch der Begrenzung der Lebensmittelverschwendung, wie sie sonst bei Einladung in China leider üblich ist. Dort herrscht die Sitte, dass immer was übrigbleiben muss, sonst war das Essen nicht gut. Abrupt gegen 20 Uhr stand der KP-Chef auf und beendet kurz nach dem letzten Gang das Essen und die Versammlung. So ist das in China immer üblich, nach dem Essen wird nicht mehr lange geredet.

Im Anschluss daran wären wir zwar zum alten Hotel transportiert worden, aber nicht zu unserem weiter entfernten neuen Hotel. Also fahren wir mit dem CPS-Wagen in die Innenstadt und der Fahrer fischt uns ein Taxi von der Straße. Die CPS-Staff „impft“ den Taxifahrer und für 50 Yuan werden wir gefahren, wobei ich glaube, gehört zu haben, wie er fluchte, als er in den engen Hutong (alte Pekinger Innenstadt mit kleinen Gebäuden und engen Gassen) eintauchen muss.

Das Haus Nr. 9 in der Gasse Longsi Liutiao im Bezirk Dongcheng von Beijing war unser und es sah auch so aus wie auf den Fotos im Internet. Begrüßt wurden wir von einem englisch sprechenden Gast(?), der sich als "vorläufiger" Geschäftsführer vorstellte, da der chief gerade nicht da sei. Er versorgte uns mit Infos zum Hotel und zu den wichtigsten Mao-Reliquien in unserem Quartier, der „Red Capital Residence“ und ordert für uns spezifisches chinesisches Bier. Später erfuhren wir von einem US-Gast der Residence – Greg, dass es sich bei dem „vorläufigen Geschäftsführer“ um den US-Amerikaner Laurence Brahm handelt, dem Eigentümer der Residence, der 1981 nach China kam, als Vermittler zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Regierung fungierte und seit 2009 für die UN das Projekt „Green China“ koordiniert. Greg bezeichnete ihn als „Erfinder“ der chinesischen Öko-Zivilisation. Leider haben wir Laurence nach diesem Abend nicht noch mal getroffen, da er am nächsten Morgen für längere Zeit nach Hongkong aufgebrochen ist. Die Red Capital Residence soll nach der Beschreibung Maos früheres Quartier gewesen sein (?), glaube es, wer will. Auf jeden Fall ist es bestimmt das originellste Hotel, in dem ich je übernachtet habe. Zugestaubt und mit vielen Fotos und Gemälden aus der Mao-Zeit im Courtyard-Stil, also kleine Zimmer um einen Innenhof.

Diese Nacht verbringen wir in einem  Zimmer, das Edgar Snow gewidmet ist. Edgar Snow war ein US-Amerikaner mit indianischen Wurzeln, der sich bei seinem 12-jährigen China-Aufenthalt mit Mao angefreundet hatte (sein Buch: Roter Stern über China). Die Nacht ist kühl, aber ruhig. Die Betten – wie im Hotel davor – knallhart, das scheint hier üblich zu sein … aber keine Mücken in Sicht.